Wenns ums Geld geht

 

Wenns ums Geld geht erkennt man manche Menschen gar nicht mehr wieder. Da kennen sie nichts. Manche gehen buchstäblich über Leichen.

Markus 12,41-44 und Lukas 21, 1-4

„Jesus setzte sich im Tempel in die Nähe des Opferkastens und beobachtete, wie die Besucher des Tempels Geld hineinwarfen. Viele wohlhabende Leute gaben grosszügig. Dann kam eine arme Witwe und steckte nur zwei kleine Kupfermünzen hinein. Da rief Jesus seine Jünger herbei und sagte zu ihnen: „Ich versichere euch: diese Witwe hat mehr gegeben als alle anderen. Sie haben lediglich von ihrem Überfluss  etwas abgegeben. Aber diese arme Witwe hat tatsächlich alles geopfert, was sie zum Leben hatte.“   
(Hoffnung für alle)

Die gängige Auslegung dieser Verse besagt,  Jesu  hätte das Verhalten der verwitweten Frau positiv gesehen und sie als Beispiel den Jüngern vor Augen gestellt.  In dieser Art der Interpretation ist die Frau ein Vorbild, dem es nachzueifern gilt und zwar in der Art, wie wir geben sollen – nämlich den letzten Rappen.

 

Diese Art der Auslegung entsteht, wenn man den Text isoliert vom Kontext und dessen Erzählfluss betrachtet. Die Geschichte mit Jesus und der Witwe steht in einem eindeutigen Zusammenhang. Sowohl in bei Lukas, wie auch bei Markus wird im unmittelbaren Vorfeld berichtet, Jesus habe die Jünger und das gesamte anwesende Volk vor den Schriftgelehrten und deren heuchlerischem Verhalten gewarnt: 

Markus 12,40  "Gierig reissen sie den Besitz der Witwen an sich, und ihre langen Gebete sollen bei den Leuten Eindruck schinden. Gottes Strafe wird sie besonders hart treffen."

Lukas 20,47   "Sie sprechen lange Gebete, um einen guten Eindruck zu machen; in Wahrheit aber sind sie Betrüger, die schutzlose Witwen um ihren Besitz bringen. Sie werden einmal besonders streng bestraft werden."

Im Griechischen steht hier: "sie fressen, (oder sie verzehren) die Häuser der Witwen". Offensichtlich haben die Schriftgelehrten die Witwen auf hinterhältige Weise ausgenutzt. Sie scheuen sich nicht, auch arme Menschen auszunehmen. Und das wozu?

Worum es ging, kommt in unserem Text deutlich zum tragen. Der Tempel steht im Fokus. Die Witwe geht zum Tempel und muss an, den von den Schriftgelehrten speziell eingerichteten Spendenkästen vorbeigehen. 

 

Der Tempel von Jerusalem

Die Erstellung und Erhaltung des Tempels kostete extreme Summen. Es war ein Prestigeprojekt von enormem Ausmass. Äusserst kostbar geschmückt mit Gold und Edelsteinen. Der Bau ist gerade erst vollendet worden, als Jesus dort gestanden hat und mit den Jüngern über Sinn und Unsinn vom Spenden sprach. 

Bilder unten: Nachbildung des Tempels von Jerusalem, wie ihn Jesus erlebt hat, zur Zeit des Herodes des Grossen. 

 

Meine These

Die Kirche soll nicht vom Geld der Armen leben, sondern sie hat die Armen zu unterstützen, zu tragen, für sie zu sorgen. Die Kirche hat Verantwortung gegenüber den Armen und nicht die Armen gegenüber der Kirche. Von den Armen erwartet Gott nicht, dass sie spenden. Schon gar nicht für solche Prestigeprojekte der Kirche. Solche Opfer sind nicht sinnvoll.

Wie konnte es zu solcher Fehlinterpretation kommen? Man muss Folgendes wissen:

Kapitel- und Versangaben und Überschriften in der Bibel

Alle Bücher der Bibel sind heute eingeteilt in Kapitel und Verse. Die Kapitel- und Versangaben erlauben es, jede Bibelstelle sehr schnell zu finden. Diese Kapiteleinteilung geht auf Stephan Langton, Kanzler der Universität Paris, später Erzbischof von Canterbury zurück, der sie vor 1205 ausarbeitete. Die heutige Verseinteilung und –zählung ist das Werk des Druckers Robert Stephanus, der sie 1551 in seinem griechischen Neuen Testament und 1555 in der Vulgata veröffentlichte. Dazu wurden auch Überschriften eingefügt. Sie gliedern den Text in Sinnabschnitte. In den ursprünglichen Handschriften mit dem hebräischen bzw. griechischen Text gibt es noch keine Überschriften. Sie wurden erst später zur besseren Orientierung hinzugefügt. Sie unterscheiden sich deshalb in verschiedenen Bibelausgaben oft deutlich voneinander.

Die Kapitel- und Versangaben und auch die Überschriften gehören also nicht zum biblischen Urtext. Man darf sie bei der Interpretation eines Textes nicht berücksichtigen. Sie sagen letztendlich nur etwas aus über die gängige Interpretation des Textes.

 

Qumranrolle mit Texten von Jesaja aus der Zeit des 3. Jh v.Chr. - ohne Kapitel und Versangaben und ohne Überschriften

 

 

 

Um die Aussagen von Jesus zum Spenden der Witwe interpretieren zu können, muss zwingend der Kontext berücksichtig werden. Bei Markus sollte man also von Kapitel 12, Vers 37 bis Kapitel 13, Vers 2 lesen und bei Lukas von Kapitel 20, Vers 45 bis mindestens Kapitel 21, Vers 6.

Hier habe ich Dir ein PDF für den Download bereitgestellt. Es lohnt sich bestimmt das Dokument zu lesen, wenn Dich das Thema interessiert.

 

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