Unser Vater *

 

Teil 1       Kontext, Zusammenhang

 

Das Gebet "Unser Vater" ist wohl der bekannteste Text der Christenheit. Sogar Menschen anderer Religionen sind diese Zeilen bekannt. Allerdings ist der Text nicht so harmlos wie er scheint. Wie so oft provoziert Jesus und regt zum Denken an. Seine Aussagen werfen Fragen auf. Das beginnt bereits im textlichen Umfeld des eigentlichen Gebets: Matthäus 6,5-8 +14+15 und Lukas 11,1.

Ich verzichte hier auf die Beantwortung solcher Fragen. Die Provokationen von Jesus will ich im Sinne von Jesus einfach stehen lassen. Keine schnellen Antworten also. Die Spannungsfelder nicht auflösen, sondern aushalten und nicht vorschnell Antworten geben.

Beten lernen

Lukas berichtet in seinem Evangelium (Lk 11,1), die Jünger hätten Jesus aufgefordert, ihnen zu zeigen, wie sie beten sollten: "Lehre uns beten". Wozu diese Frage? Meinten die Jünger es bräuchte auserwählte Worte oder Rituale? Aber, was kann man denn schon beim Beten falsch machen? Nicht zu beten ist sicher der dümmste Weg. Gott will, dass wir unser Herz ihm öffnen und mit ihm reden. In diesen Zusammenhang stellt Jesus das Gebet "Vater unser". Matthäus hingegen berichtet nichts von alledem. Nach seinem Bericht setzt Jesus voraus, dass gebetet wird: "Wenn ihr betet, dann...".  

Eine Show abziehen

Matthäus berichtet (Matth. 6,5), Jesus habe als Nächstes mit seinen Jüngern darüber gesprochen, was beim Beten daneben ist. Die Frommen gingen damals mehrmals am Tag in den Tempel oder die Synagoge zum Gebet. Manche gingen zeitlich zu knapp weg und stellten sich dann, wenn die Zeit für das Gebet gekommen war, irgendwo in der Strasse zum Gebet hin. Alle konnten sie sehen und bewundern. So zu beten war damals angesehen. Dass Jesus solches Verhalten nicht goutierte war eine heftige Provokation. Gebet dient nicht der persönlichen Profilierung, sondern hat Zwiesprache mit Gott zu sein.

Allein oder gemeinsam

Jesus spricht in V6 vom "Kämmerlein" in das man alleine für das Gebet gehen soll. Man kann davon ausgegehen, dass es ein kleiner Raum im Haus war ohne Fenster, wo Vorräte aufbewahrt wurden. Gleich danach in V8 spricht Jesus in der Mehrzahl: "Unser Vater". Sollen wir nun alleine beten, jeder für sich, oder betont Jesus mit seiner Idee das gemeinsame Gebet? Das wär doch was! Wir alle gemeinsam in so einem dunklen, begrenzten Raum ohne Luftzufuhr. Ein riesen Gedränge, und doch jeder allein und vielleicht sogar einsam.

Nichts als leere Worte

Die nächste Provokation folgt bei Matthäus sogleich in Vers 7. Jesus spricht das "Plappern" als No-Go an. Man könnte auch übersetzen mit: "Gebetsworte herunterleiern“, oder „gedankenloses Vorsichhinsprechen“. Man kann Gott nicht mit vielen und schönen Worte betören. Gott ist nicht interessiert an der Anzahl der Worte, poetischen Ergüssen oder Mantras. Die Crux? Der Witz? Das "Unser Vater" ist zu etwas geworden, was heute an Abdankungen, in Gottesdiensten und auch privaten Situationen vielfach einfach so heruntergeleiert wird. 

 

unsere Bedürfnisse

Vers 8 bringt den nächsten Denkanstoss: "Euer Vater weiss, was ihr braucht, bevor ihr ihn bittet"

Es stellt sich die Frage, warum wir denn überhaupt noch beten sollen, wenn Gott schon weiss, was wir brauchen. Aber vielleicht gibt es ja noch Gründe fürs Gebet, welche nicht persönlicher Natur sind?! Und dann meint Jesus unmittelbar: "so sollt ihr beten ...". Also doch, obwohl Gott unsere Bedürfnisse kennt, gibt Jesus dafür Anleitung. Ein Kapitel später in Matthäus 7,7 doppelt Jesus nach, und thematisiert die Zuversicht beim Beten: "Bittet so wird euch gegeben .... und wer bittet, der empfängt ..." . Schlussendlich stellt Jakobus in seinem Brief klar (4,2+3): "Ihr hat nichts, weil ihr nicht bittet. Und wenn ihr bittet, bekommt ihr es nicht, weil ihr nur in der Absicht bittet, eure unersättliche Genusssucht zu befriedigen".

 

 

 

 

Angesichts der vielen Fragen und Spannungsfelder stelle ich mir die Frage, was denn Jesus den Jüngern mit auf den Weg geben wollte. Kann es sein, dass er gar nicht ein abgeschlossenes Gebet zum Aufsagen weitergeben, sondern eher zum Denken anregen wollte? Wenn das der Fall wäre, dann aber ist die Art, wie die Christenheit im Lauf der Geschichte mit dem Gebet umgegangen ist, dem entgegengesetzt, was Jesus beabsichtigt hatte.

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