Theologisches Essay
Wer hat sich nicht schon gewünscht, Gott würde in das eigene Leben reden und einem erläutern, was zu tun ist? Ja, wer hofft nicht dann und wann, Gott würde sich offenbaren und einem sagen, was Sache ist. Wer hat sich nicht schon erhofft, Gott möge mit anderen tacheles, also offen und ohne Umschweife Klartext reden? Wer hat sich nicht auch schon gewundert, wie sehr sich manche Menschen als Sprachrohr Gottes sehen? Wer hat nicht schon so einer Gottes Offenbarung durch einen Menschen geglaubt und später feststellen müssen, dass es Menschenwort war?
Es ist hier nicht die Zeit und der Ort für eine Belehrung zum Thema "Hören auf Gott". Mich interessiert im grossen Rahmen dieses Themas lediglich der Begriff "rhema", welcher von manchen Auslegern im Zusammenhang mit den Reden Gottes verwendet und gedeutet wird.
Rhema ist ein vielschichtig verwendeter Begriff. Es gibt Kirchgemeinden, mit Namen "Rhema Wort Gottes". Sie haben den Anspruch, dass bei ihnen Gott redet, direkt. Es gibt gleichnamige Bibelschulen und es gibt Netzwerke.
Was hat es mit dem Begriff Rhema auf sich?
Rhema ist ein griechisches Wort (ῥῆμα) aus dem Neuen Testament. Es bedeutet: "das Gesagte, das Wort, der Ausspruch". *1
Folgendes kann man dazu lesen:
"Es ist im Neuen Testament die mündliche Rede, das gesprochene Wort. Ein Rhema Gottes ist immer lebendig, wirksam und kraftvoll und schafft durch die göttliche Offenbarung Glauben im Herzen."
"Es ist ein bestimmtes Wort, das einer bestimmten Person in einer bestimmten Situation gegeben wird. Rhema ist das persönliche Reden Gottes, das unmittelbare lösungsbringende, schöpferische Wort in unser aktuelles Problem hinein. Gott wirkt live in die neue Lebenssituation." *2
"Das Rhema Wort, das frische Reden Gottes vom Thron, schafft eine Kraft, Stabilität, die nicht von dieser Welt ist. Es macht Gottes Gegenwart erfahrbar in dieser Welt..... Ein Rhema empfangen heisst: Kraftvolles Leben im Geist - Worte vom Thron empfangen (Offenbarung 5,6)." *3
Wichtig zu verstehen ist, dass in der Bibel noch ein anderer griechischer Begriff für "das Wort" verwendet wird: Logos (λόγος). Die griechische Sprache des Neuen Testaments kennt die zwei Begriffe logos und Rhema für Wort bzw. Rede. Nach intensiver Beschäftigung mit dem Thema meine ich, dass diese beiden Begriffe im Neuen Testament praktisch austauschbar verwendet werden. Es gibt im Neuen Testament keinen Hinweis dafür, dass eine Qualifizierung dieser beiden Worte, gerechtfertigt wäre. Logos wird im Neuen Testament an vielen verschiedenen Stellen verwendet, genauso wie Rhema, und bedeutet nicht immer das Wort Gottes.
Die folgenden Erläuterungen sollen helfen diese These nach zu vollziehen:
Wo Jesus selbst als das Wort Gottes dargestellt wird, steht immer Logos
Johannes 1,1+10 (Off. 19, 13)
"Am Anfang war das Wort. Das Wort war bei Gott, und in allem war es Gott gleich. Er, das Wort, war schon immer in der Welt, die Welt ist durch ihn geschaffen worden, und doch erkannte sie ihn nicht."
Interessant ist dies, weil ja gerade im angesprochenen Zusammenhang der Schöpfung es um ein gesprochenes Wort geht (1. Mose 1ff): "Gott sprach" wird immer und immer wieder hervorgehoben. Das Wort aus Gottes "Mund" schafft Leben und macht lebendig. Nur eben, in diesem Zusammenhang wird hier nicht rhema, sondern logos verwendet.
Rhema wird im Neuen Testament bei Zitaten aus dem Alten Testament verwendet, wie z.B. in:
- Matthäus 4,4 - 5. Mose 8,3 "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das Gott spricht"
- 1. Petr. 1, 25 - Jesaja 40,8 "Das Wort Gottes besteht in Ewigkeit"
- Römer 10,8 - 5. Mose 30,14 "Gottes gebietendes Wort ist euch ganz nahe. Es ist auf euren Lippen und in eurem Herzen."
- Römer 10,18 - Psalm 18,5 "Ihr Schall ist hinausgegangen zu der ganzen Erde und ihre Reden zu den Grenzen des Erdkreises.«
Rhema kann ganz andere Bedeutungen beinhalten
Die folgenden Zitate mit dem Begriff rhema, aus dem Alten Testament, dem Hebräischen, bedeuten auch "die Sache, die Angelegenheit, der Gegenstand, die Begebenheit" .
- Lukas 1,37 - 1. Mose 18,14 "Ist für den Herrn irgendetwas unmöglich?"
- Matthäus 18,16 + 2.Korinther 13,1 - 5. Mose 19,15 "Wenn er aber nicht hört, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit aus zweier oder dreier Zeugen Mund jede Sache bestätigt wird!"
Rhema wir auch im negativen Sinn verwendet
- Matthäus 12,36 "Am Tag des Gerichts werden die Menschen sich verantworten müssen für jedes unnütze Wort, das sie gesprochen haben."
Der Begriff rhema wird hier mit dem Adjektiv "unnütz" gekoppelt. Es geht um negatives Gerede, also Geschwätz.
- Matthäus 27,14 "Jesus antwortete auf keine der Anklagen. Darüber wunderte sich der Statthalter sehr."
Rhema wird bei Vorwürfen verwendet: Auch hier ist der Begriff negativ besetzt. Es ging um Vorwürfe gegenüber Jesus, welche letztlich dann auch zu seiner Verurteilung geführt haben.
Rhema kommt in kritischem Zusammenhang vor, also wo Fragen und Zweifel aufgekommen sind.
Besonders Jesus war davon betroffen. Die Leute um ihn, haben seine Worte nicht einfach einordnen können. Selbst Petrus vermochte sie nicht zu verstehen und auch nicht anzunehmen.
- Johannes 10,21 "Viele von ihnen sagten: »Er ist von einem bösen Geist besessen. Er ist verrückt! Warum hört ihr ihm überhaupt zu?« Aber andere meinten: »So redet kein Besessener! Kann ein böser Geist etwa blinde Menschen sehend machen?«
- Johannes 5,47 "Da ihr aber seinen geschriebenen Worten nicht glaubt, wie könnt ihr dann meinen gesprochenen glauben?"
- Mk 9,32 "Die Jünger wussten mit dem, was Jesus da sagte, nichts anzufangen; aber sie scheuten sich, ihn zu fragen."
- Mtth 26,75 "Da dachte Petrus an das Wort, das Jesus gesagt hatte: Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er ging hinaus und weinte bitterlich."
Logos wird im Sinne eines in eine bestimmte Situation hinein gesprochenes Wort verwendet
Manche Ausleger meinen: "Gott wirkt live in die neue Lebenssituation. Rhema meine „Fliessendes“, es sei schöpferisch, prophetisch, unmittelbar." Dabei meinen sie vielleicht, dass Rhema vom griechischen Wort rheos abstammt, welches Jesus in Johannes 7, 38 verwendet. Rheos bedeutet tatsächlich fliessen, doch sind diese beiden Worte nicht miteinander verwandt. Wenn Rhema wirklich ein fliessendes, prophetisches Wort bedeuten würde, dann hätte Paulus das Wort Rhema zur Beschreibung der prophetischen Gaben der Worte der Weisheit und der Erkenntnis verwenden müssen. Dem ist aber nicht so. An dieser Stelle steht im Griechischen das Wort Logos.
1.Korinther 12,8
"Dem einen schenkt er im rechten Augenblick das richtige Wort. Ein anderer kann durch denselben Geist die Gedanken Gottes erkennen und weitersagen."
Das ist interessant, weil ja gerade hier in diesem Text Paulus vom Reden des Geistes spricht und er erst noch auf die Fähigkeit hinweist, diese Gedanken Gottes anderen weiterzusagen. Damit wird auch hier deutlich, dass nicht zu viel in den Begriff rhema hineininterpretiert werden sollte.
Apropos Heiliger Geist:
Johannes 14,26
"Der Vater wird euch in meinem Namen den Helfer senden, der an meine Stelle tritt, den Heiligen Geist. Der wird euch alles Weitere lehren und euch an alles erinnern, was ich selbst schon gesagt habe."
Auch in diesem Zusammenhang (V24) wird logos verwendet: "Wer mich nicht liebt, richtet sich nicht nach meinen Worten – und dabei kommen doch die Worte, die ihr gehört habt, nicht von mir, sondern von meinem Vater." Es sind damals von Jesus gesprochene Worte, die wir heute in der Bibel lesen und uns daran orientieren können.
Fazit:
Die Verwendung des Begriffs "rhema" für Gottes reden in eine spezifische Situation ist nicht gerechtfertigt. Die Frage nach dem Reden Gottes in unserer Zeit und in eine spezifische persönliche Situation hinein kann nicht mit dem Begriff "rhema" geklärt werden. Vor allem in den charismatischen Kreisen der Dritten Welle gab es betreffend dieser beiden griechischen Worte einige Missverständnisse, die andere übernommen haben.
Weitreichende Konsequenzen:
Auf Grund der hier aufgezeigten Sachverhalte könnte man hingehen und einfach den Begriff rhema in aufgezeigtem Sinn nicht mehr verwenden. Das ist aber zu kurz gedacht. Die Lehre der Unterscheidung vom Logos und Rhema hat viel weitreichendere Konsequenzen. Da sowohl Logos wie auch Rhema in der Schrift nebeneinander stehen, wäre die letzte Konsequenz dieser Lehre, dass das „fliessende, prophetische Wort“, welches Gott zu uns heute redet, ebenfalls neben dem schriftlichen Wort Gottes, der Bibel, zu stehen kommt. Solche „prophetischen Worte“ würden somit die gleiche Autorität wie die Bibel erhalten. Obwohl die meisten Anhänger dieser Lehre dies bestreiten, wird es in der Praxis schlussendlich doch so gehandhabt.
Um dem Thema vom Reden Gottes, in unsere Zeit und ganz persönlich, gerecht werden zu können, müsste man sich intensiver mit dem Thema der Gottes Offenbarung und prophetischem Reden auseinander setzen. Das würde aber die Intention dieses Artikels weit übersteigen.
Vertiefung:
Ich bin der Meinung, dass Gott auch noch heute zu uns reden kann, zu jedem Menschen ganz persönlich. Sei dies durch die Bibel, oder durch eine Person, durch Umstände oder durch den Heiligen Geist sogar direkt in unsere Herzen hinein. Es bleibt Ihm jedoch vorbehalten, wie, wann und wo er dies tut. Wir müssen lernen, Seine Stimme zu hören. Diese Tatsachen gehen eindeutig aus der Bibel hervor.
Eine Orientierungshilfe: Worte der Erkenntnis und Worte die in das Leben anderer Menschen gesprochen werden, haben sich immer an der Bibel zu orientieren. Es steht nie als Gegensatz oder gar über der Gesamtheit der Heiligen Schrift, sondern steht immer in Einklang mit ihr. Dass dies wesentlich ist, zeigen gerade die vielen Stellen in der Bibel, wo der Begriff rhema in kritischem Zusammenhang steht, also wo Fragen und Zweifel aufgekommen sind.
An manchen Stellen wird genau präzisiert. Dies geschieht so stark und offensichtlich, dass man annehmen kann, es sei um jede Verwechslung auszuschliessen.
- Hebräer 6,5 + 11,3 "Ein Wort von Gott"
- Römer 10,17 "durch das Wort von Christus"
- 1.Petrus 1,25 "das Wort des Herrn"
Wir sollten auch nicht ausser Acht lassen, dass die Prioritäten von Gott klar gesetzt sind. Es geht in erster Linie um Jesus und das Evangelium. In den ersten beiden folgend aufgeführten Bibelversen stehen andere griechische Begriffe als logos oder rhema. In den beiden anderen steht Rhema.
- Apostelgeschichte 2,14 "vernehmt meine Worte!" aus der Pfingstpredigt von Petrus, wo er die Ereignisse um Jesus erläutert.
- Apostelgeschichte 5,20 "Geht in den Tempel und verkündet dem Volk die Botschaft von dem Leben, das Jesus gebracht hat!
- Apostelgeschichte 5,32 " Wir sind Zeugen von diesen Dingen und der Heilige Geist, den Gott denen gegeben hat, die ihm gehorchen."
- 1.Petrus 1,25 "Das Wort des Herrn bleibt für ewig in Kraft. Eben dieses Wort ist euch als die Gute Nachricht verkündet worden.
In offenbarenden Worten steht nicht das Wohl des Menschen oder dessen Geschick, sondern die Enthüllung Jesu und dessen Werk im Vordergrund. Verständlich. Denn was gibt es für den Menschen besseres, als in Jesus Frieden und Freiheit zu finden.
Das eigentliche Problem liegt nicht in der Frage, ob Gott heute noch zu uns Menschen redet, sondern viel mehr, wie wir mit den Worten Gottes umgehen. Das war schon früher das Problem. So hatte Gott sehr deutlich und unmissverständlich zu Jona geredet. Aber dieser hat sich widersetzt.
Insbesondere in der Frage der Prophetie und damit auch bei Aussagen ins Leben anderer Menschen ist gemäss der Bibel Vorsicht geboten. Nicht umsonst werden wir gerade in diesem Zusammenhang zur Vorsicht aufgerufen: 1. Thessalonicher 5,19-22; 1. Korinther 14,29
1.Johannes 4,1
«Glaubt nicht jedem, der behauptet, dass Gottes Geist durch ihn redet. Prüft vielmehr genau, ob das, was er sagt, wirklich von Gottes Geist stammt. Denn in dieser Welt verbreiten viele falsche Propheten ihre Irrlehren».
Konsequenz: Etwas an Skepsis uns selbst gegenüber und dem, was wir "hören" und "glauben zu meinen" ist dringend nötig.
Literaturverzeichnis:
1 Walter Bauer, Wörterbuch zum Neuen Testament, 2. überarbeitete Auflage, Verlag von Alfred Töpelmann in Giessen 1928, Seite 1180
2 Ivo Sasek; Die Waffenrüstung Gottes; Elaion-Verlag; Walzenhausen; 1. Auflage 1997; S. 40
3 Rhema-Worte: Kraftvolles Leben im Geist, Beat Schulthess
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