Ein Video mit einer Predigt ist mir zugesandt worden. Die Anmerkung: "Lohnenswerte Lektion für erfolgreiche Ehemänner!". Erst wusste ich gar nicht, ob das ernst gemeint ist, oder als Satire gedacht war.
Es gibt Männer, die sich selber als das Oberhaupt der Familie sehen und als Ernährer, als spirituelle Leader ihrer Ehefrau. Es ist ihr Mission Statement. Sie meinen vor Gott die Verantwortung zu tragen und sehen sich als diejenigen, welche dabei Opfer bringen. Für sie ist es ganz einfach Bestimmung Gottes.
Was ist davon zu halten? Dass wir Männer mehr Verantwortung in der Ehe übernehmen sollen? Ja! Ja da bin ich voll einverstanden. Hier liegt tatsächlich ein grosses Manko bei den Männern. Aber warum liegt die Hauptverantwortung auf unseren Schultern?
Clip aus: https://www.instagram.com/reel/DICol8IseQW/?igsh=MTg0bGIybXdncW9pcA%3D%3D
Bayless Conley (* 1955) ist evangelikaler US-amerikanischer Pastor der Gemeinde Cottonwood Christian Center in Kalifornien und ein renommierter Fernsehprediger und Autor. Bekannt wurde er durch seine Fernsehsendung "Antworten mit Bayless Conley", die alle Kontinente erreicht und jede Woche auf verschiedenen TV-Sendern ausgestrahlt wird.
"Für eine gelingende Ehe liegt die Hauptverantwortung auf unseren Schultern, denn wir sind dazu aufgerufen wie Christus zu sein. Wir sind dazu aufgerufen Opfer zu bringen für unsere Ehefrauen. Andere höher zu achten, als uns selbst, besonders unsere Ehefrauen."
Auf die Schnelle tönt das erst mal nicht schlecht. Bayless Conley scheint in seinem Vortrag unter dem Titel: "Was Männer über die Ehe wissen sollten" von Hingabe und Liebe zu reden. Das wäre ein guter Ansatz. Bei näherem Hinhören aber zeigen sich ganz alte Denkmuster aus dem vorletzten Jahrhundert, die sich bis in die 1980er Jahre gehalten haben. Ich habe genug davon. Mir sträuben sich die Nackenhaare.
In konservativen, christlichen Kreisen werden normalerweise die Frauen darauf angesprochen, sich unterzuordnen. Bayless Conley hingegen setzt beim Mann an und spricht von der Hauptverantwortung des Mannes. Damit umgeht er das heute unpopulär gewordene Thema der Unterordnung der Frau, um es dann von einer anderen Seite einzubringen.
Von einer Hauptverantwortung zu reden, ist ja noch die eine Sache. Bayless Conley bringt das aber noch mit anderen Themen zusammen und kreiert so einen giftigen Cocktail. Die von Bayless Conely angesprochenen Bibeltexte sind an alle gerichtet, welche Jesus kennen und ihm nachfolgen - also an Mann und Frau. Damit wird etwas in ein Thema hineingebogen, was da nicht hingehört.
"Wir sind aufgerufen, wie Christus zu sein" - das ist Unsinn. Wir können nicht wie Christus sein und wir können auch nicht tun, was Christus getan hat. Jesus Christus hat den Weg zu Gott frei gemacht. Wir können ihn zum Vorbild in seiner Art und Weise nehmen, wir können ihm nacheifern. Wie schon gesagt: Mann und Frau. Worin? Gemäss Philipper 2,2-7, in der Einstellung von Jesus, sich selber nicht höher zu stellen als den anderen.
"Seid euch ganz einig. Bleibt in der einen Liebe miteinander verbunden und haltet fest zusammen. Weder Eigennutz noch Streben nach Ehre sollen euer Handeln bestimmen. Im Gegenteil: Seid bescheiden und achtet den anderen mehr als euch selbst. Denkt nicht an euren eigenen Vorteil. Jeder von euch soll das Wohl des anderen im Auge haben. Nehmt euch Jesus Christus zum Vorbild: Obwohl er in jeder Hinsicht Gott gleich war, hielt er nicht selbstsüchtig daran fest, wie Gott zu sein. Nein, er verzichtete darauf und wurde einem Sklaven gleich: Er wurde wie jeder andere Mensch geboren und war in allem ein Mensch wie wir."
Nichts mit Macht, nichts mit das letzte Wort haben. Christus, Gott gleich, liess sich auf unsere Ebene herunter. Nichts mit Bestimmen und andere führen, schon gar nicht die eigene Frau. Dass das Konzept eines Oberhauptes in der Ehe nicht aufgeht, zeigt sich auch in Epheser 5.
"Denn der Mann steht über der Frau, so wie Christus über der Gemeinde steht. Christus als dem Haupt verdankt die Gemeinde, die sein Leib ist, ihre Rettung. Wie nun die Gemeinde Christus untergeordnet ist, so müssen auch die Frauen sich ihren Männern in allem unterordnen."
Natürlich kann man sich auf die Aussagen von Paulus in Epheser 5,23+24 fokussieren und sich daraus eine Vorherrschaft des Mannes zusammenzimmern. Dabei muss man aber die unmittelbar folgenden Verse bewusst ignorieren.
Epheser 5,27-28 "Ihr Männer, liebt eure Frauen so, wie Christus seine Gemeinde liebt: Er hat sein Leben für sie gegeben, damit sie ihm ganz gehört. Durch sein Wort hat er alle Schuld von ihr abgewaschen wie in einem reinigenden Bad. So sorgt er selbst dafür, dass sie zu einer schönen und makellosen Braut für ihn wird, ohne Flecken, Falten oder einen anderen Fehler, weil sie allein Christus gehören soll. Darum sollen auch die Männer ihre Frauen lieben wie ihren eigenen Körper. Wer nun seine Frau liebt, der liebt sich selbst."
Seine Frau lieben, wie Christus die Gemeinde liebt! Es geht um Hingabe und nicht um Vorherrschaft oder bestimmen können. Mir scheint, als würde Paulus auf eine Schwäche von uns Männern anspielen. Jedenfalls steht es in deutlichem Widerspruch zur Idee, Männer seien übergeordnet. Selbst, wenn so etwas aus der Bibel abgeleitet werden könnte, wird es hier wie aufgelöst mit freiwilliger Hingabe und damit Unterordnung aus Liebe. Unterordnung der eigenen Lebensziele, Unterordnung der Machtansprüche.
"Wir sind aufgerufen Opfer zu bringen"
"Wir sind aufgerufen, den anderen höher zu achten, als uns selber"
Opfer werden in der Bibel als Akt der Hingabe und Verehrung Gottes gesehen, sowie als ein Mittel der Sühne und des Gottesdienstes dargestellt. Im Alten Testament waren Opfer in den Tempelritualen Teil des Gottesdienstes und dienten dazu, für Sünden zu sühnen und eine Beziehung zu Gott aufzubauen. Im Neuen Testament wird die Hingabe Jesu Christi als das ultimative Opfer für die Sünden der Menschheit dargestellt, das die Notwendigkeit traditioneller Opfer ersetzt.
Hebräer 9,28 "Christus ist geopfert worden, um alle Menschen von ihren Sünden zu erlösen."
Es ist ein einmaliges Opfer, von Gott selber erbracht. Das braucht keine Ergänzung. Im Gegenteil:
Matthäus 9,13 "Begreift doch endlich, was Gott meint, wenn er sagt: ›Wenn jemand barmherzig ist, so ist mir das lieber als irgendwelche Opfer und Gaben."
Von Opfern von Männern gegenüber ihren Frauen zu sprechen ist nicht angebracht und auch anmassend. Bayless Conley sieht Verantwortung in der Ehe oder Familie "als Last" auf den Schultern aller Männer.
Natürlich, wenn ein Opfer bringen meint, weniger oft Sport zu machen und bedeutet weniger lange in der Beiz mit seinen Kumpanen rum zu hängen anstatt den Kinder zu schauen .... ja dann ... wenn es bedeutet, in seinen Ferien nicht mehr das machen zu können, was man selber gerne tun würde ... ja dann .... wenn es bedeutet, seine eigene Karriere nicht absolut zu sehen, ja dann!
Da wird alles zur Leistung, zu der man sich gezwungen sieht. Aber das ist ein schlechter Ansatz. Da braucht man bald einen Psychiater. Opfer ist Leistung. Man erbringt etwas, weil man es muss oder damit etwas erreichen will. Es geht nicht um Opfer sondern eher um unseren Selbsterhaltungstrieb. Darauf spielt auch Paulus in Epheser 5, 28+33 an:
"Männer müssen ihre Frauen lieben wie ihren eigenen Körper. Denn ein Mann, der seine Frau liebt, liebt sich selbst. Jeder von euch muss seine Frau so lieben wie sich selbst."
Das ist kein Opfer. Es muss leicht fallen. Liebe tut etwas gerne. Am Ende bin ich selber der Profitierende. Und das ist auch nicht einseitig. In der Ehe, in einer Beziehung geht es immer um zwei Personen. Einseitige Verhältnisse sind ungesund.
Der Bibelvers auf den Bayless Conley auch anspielt, "Einer soll den anderen höher achten als sich selbst" aus Philipper 2,3+4 stammt aus einem ganz anderen Zusammenhang. Es ist an die Gemeinde gerichtet, also an Mann und Frau:
"Weder Eigennutz noch Streben nach Ehre sollen euer Handeln bestimmen. Im Gegenteil: Seid bescheiden und achtet den anderen mehr als euch selbst. Denkt nicht an euren eigenen Vorteil. Jeder von euch soll das Wohl des anderen im Auge haben."
Ja, wenn das beide beachten, Mann und Frau, dann kann Ehe funktionieren. Das kommt auch in Epheser 5,21 zum Tragen:
"Ordnet euch einander unter, wie es die Ehrfurcht vor Christus verlangt"
Fazit:
Vielen konservativ denkende Männer geht es um die Vormachtstellung des Mannes gegenüber der Frau. Dieser Ansatz ist zum Scheitern verurteilt. Warum schwirrt es dennoch in den Köpfen herum? Weil viele Frauen ihre Prinzessinnen-Vorstellungen nicht loslassen können. Sie möchten zwar keine Unterordnung, lieben aber das Machotum und lieben es umgarnt zu werden. Sie sind in vielen Bereichen froh, bestimmte Dinge selber nicht tun zu müssen. Damit will ich nicht den Frauen die Schuld geben, aber die Verantwortung der Frauen sollte nicht vergessen gehen. Schliesslich sind sie es, mindestens in früheren Zeiten, welche die Jungens zu Männern erzogen haben.
Als Konsequenz einer Hauptverantwortung in der Ehe müsste man ja auch hinnehmen, dass in einem Fall des Zerbruchs (Trennung oder Scheidung) und auch wenn Kinder mit dem Leben nicht zurecht kommen, die Männer / Väter die Hauptverantwortung tragen und entsprechend die Hauptschuld. So etwas habe ich aber noch nie gelesen. Und es käme manchen Frauen auch sehr entgegen.
Verantwortung zu übernehmen in der Beziehung, ist für viele Männer ein grundlegendes Problem. So argumentiert jedenfalls Paulus. Die Bibel beginnt ganz am Anfang einer Geschichte eines Mannes dem es an "Eiern" fehlte. Adam, übernimmt keine Verantwortung. Im Gegenteil. Er macht seiner Frau nach, er tut gleich, obwohl er weiss, dass es falsch ist. Schlimmer noch: Er versucht sich rauszureden indem er mit dem Finger auf Eva zeigt. Adam war ein Waschlappen. Viele Männer wissen gar nicht, was es bedeutet in einer Beziehung Verantwortung zu übernehmen. Tragisch, dass Paulus in der Bibel das so hervorheben muss: "Ihr Männer liebt eure Frauen" .... Paulus geht noch weiter und meint: "liebt sie, so wie Christus die Gemeinde liebt". Dem Mann fehlt es an Liebe.
Nicht herrschen, nicht bestimmen .... sondern lieben durch Hingabe. Wir Männer müssen endlich aufhören uns besser zu sehen oder zu machen und darzustellen, als wir sind. Aufhören wichtiger zu tun, als wir sind.
Mir gefällt in diesem Zusammenhang ein Zitat von Luciano De Crescenzo:
"Wir sind alle Engel mit nur einem Flügel. Um fliegen zu können, müssen wir einander umarmen."
© Luciano De Crescenzo (1928 - 2019), italienischer Ingenieur, Schauspieler, Regisseur, Talkmaster,
Autor und Cartoonist
Wer sich theologisch in vertiefender Weise mit dem Thema und daraus resultierenden Fragen auseinander setzen möchte, dem empfehle ich mein Essay "von der Unterordnung der Frau in der Ehe". Hier werden alle Bibelstellen behandelt, welche in Verbindung mit dem Thema Unterordnung und Hauptverantwortung zitiert werden .
Kommentar verfassen