Füsse im Feuer

 

Die Hugenotten, Teil 11,  Gestiefelte Missionare

Nach der Aufhebung des Ediktes von Nantes 1685, das den Hugenotten (den Protestanten in Frankreich) Glaubensfreiheit gewährt hatte, wurden sie durch Ludwig XIV. erneut scharf verfolgt. Dem Thema hatte sich Conrad Ferdinand Meyer 1867 mit "Der Hugenot" angenommen. Die Ballade beunruhigt schon mit den Anfangsversen ihre Zuhörer und Leser.

 

Conrad Ferdinand Meyer 1825 - 1898

 

Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm. Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Ross, Springt ab und pocht ans Tor und lärmt. Sein Mantel saust Im Wind. Er hält den scheuen Fuchs am Zügel fest. Ein schmales Gitterfenster schimmert goldenhell Und knarrend öffnet jetzt das Tor ein Edelmann ... „Ich bin ein Knecht des Königs, als Kurier geschickt Nach Nîmes. Herbergt mich! Ihr kennt des Königs Rock!“ „Es stürmt. Mein Gast bist du. Dein Kleid, was kümmert's mich? Tritt ein und wärme dich! Ich sorge für dein Tier!“ Der Reiter tritt in einen dunklen Ahnensaal, Von eines weiten Herdes Feuer schwach erhellt, Und je nach seines Flackerns launenhaftem Licht Droht hier ein Hugenott im Harnisch, dort ein Weib, Ein stolzes Edelweib aus braunem Ahnenbild ... Der Reiter wirft sich in den Sessel vor dem Herd Und starrt in den lebend'gen Brand. Er brütet, gafft ... Leis sträubt sich ihm das Haar. Er kennt den Herd, den Saal ... Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut. Den Abendtisch bestellt die greise Schaffnerin Mit Linnen blendend weiß. Das Edelmägdlein hilft. Ein Knabe trug den Krug mit Wein. Der Kinder Blick Hangt schreckensstarr am Gast und hangt am Herd entsetzt ... Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut. - Verdammt! Dasselbe Wappen! Dieser selbe Saal! Drei Jahre sind's ... Auf einer Hugenottenjagd ... Ein fein, halsstarrig Weib ... 'Wo steckt der Junker? Sprich!' Sie schweigt. 'Bekenn!' Sie schweigt. 'Gib ihn heraus!' Sie schweigt. Ich werde wild. D e r Stolz! Ich zerre das Geschöpf ... Die nackten Füße pack ich ihr und strecke sie Tief mitten in die Glut ... 'Gib ihn heraus!' ... Sie schweigt ... Sie windet sich ... Sahst du das Wappen nicht am Tor? Wer hieß dich hier zu Gaste gehen, dummer Narr? Hat er nur einen Tropfen Bluts, erwürgt er dich. Eintritt der Edelmann. „Du träumst! Zu Tische, Gast ...“ Da sitzen sie. Die drei in ihrer schwarzen Tracht Und er. Doch keins der Kinder spricht das Tischgebet. Ihn starren sie mit aufgerissnen Augen an - Den Becher füllt und übergießt er, stürzt den Trunk, Springt auf: „Herr, gebet jetzt mir meine Lagerstatt! Müd bin ich wie ein Hund!“ Ein Diener leuchtet ihm, Doch auf der Schwelle wirft er einen Blick zurück Und sieht den Knaben flüstern in des Vaters Ohr ... Dem Diener folgt er taumelnd in das Turmgemach. Fest riegelt er die Tür. Er prüft Pistol und Schwert. Gell pfeift der Sturm. Die Diele bebt. Die Decke stöhnt. Die Treppe kracht ... Dröhnt hier ein Tritt? Schleicht dort ein Schritt? ... Das Wort Hugenotten kommt von „Eidgenossen“, weil die Bewegung in der Schweiz entstand. Es waren die französischen Protestanten, die den Glauben des Genfer Reformators Jean Calvin angenommen hatten. Seit 1535 bekämpften die französischen Könige die Hugenotten erbittert. In der Bartholomäusnacht 1572 wurden in Paris und in Frankreich über 30 000 Hugenotten ermordet. Das Edikt von Nantes 1685 gewährte den Hugenotten dann Gleichberechtigung. Ludwig XIV. aber herrschte absolut und wollte keinen andern Glauben als den seinen (den katholischen) in seinem Land dulden. 200 000 Hugenotten flohen in die Schweiz, die Niederlande, nach England und nach Preußen. In diesen Ländern förderten die Hugenotten durch ihren Fleiß den wirtschaftlichen Aufschwung. Die Schweizer Uhrenindustrie am Jurasüdfuß wurde von den hugenottischen Immigranten begründet. Fuchs: rotbraunes Pferd Kurier: Bote Nîmes: Stadt in Südfrankreich des Königs Rock: Er hatte die goldenen Lilien der Bourbonen auf seinem blauen Kleid Ahnensaal: Rittersaal, das Wohnzimmer, in dem die Porträts der Familie aufgehängt waren Herd: Kaminfeuer Schaffnerin: Gehilfin oder Stellvertreterin der Hausfrau Linnen: Tischtuch aus Leinen Junker: (junger) Landadeliger in ihrer Schwarzen Tracht: Calvinisten waren strenggläubig und ernst, sie trugen keine bunten Kleider. Tapetentür: getarnte Geheimtür dem größten König: Sonnenkönig / Gott „Mein ist die Rache“. Der Spruch stammt aus dem 5. Buch Moses Kapitel 32 Vers 35. Er wird vom Apostel Paulus zitiert, und zwar in seinem Brief an die christliche Gemeinde in Rom (Römer 12, 19) zur Unterstützung seiner Aufforderung: „Rächt euch nicht selbst“. Gedankengang: Wenn euch jemand Unrecht getan hat, dann liebt ihn trotzdem; dadurch gewinnt ihr die Gnade Gottes, und dieser wird dann für euch Vergeltung üben, er kann das besser als ihr. Ihn täuscht das Ohr. Vorüberwandelt Mitternacht. Auf seinen Lidern lastet Blei, und schlummernd sinkt Er auf das Lager. Draußen plätschert Regenflut. Er träumt. 'Gesteh!' Sie schweigt. 'Gib ihn heraus!' Sie schweigt. Er zerrt das Weib. Zwei Füße zucken in der Glut. Aufsprüht und zischt ein Feuermeer, das ihn verschlingt ... „Erwach! Du solltest längst von hinnen sein! Es tagt!“ Durch die Tapetentür in das Gemach gelangt, Vor seinem Lager steht des Schlosses Herr - ergraut, Dem gestern dunkelbraun sich noch gekraust das Haar. Sie reiten durch den Wald. Kein Lüftchen regt sich heut. Zersplittert liegen Ästetrümmer quer im Pfad. Die frühsten Vöglein zwitschern, halb im Traume noch. Friedsel'ge Wolken schimmern durch die klare Luft, Als kehrten Engel heim von einer nächt'gen Wacht. Die dunklen Schollen atmen kräft'gen Erdgeruch. Die Ebne öffnet sich. Im Felde geht ein Pflug. Der Reiter lauert aus den Augenwinkeln: „Herr, Ihr seid ein kluger Mann und voll Besonnenheit Und wisst, dass ich dem größten König eigen bin. Lebt wohl! Auf Nimmerwiedersehn!“ Der andre spricht: „Du sagst's! Dem größten König eigen! Heute ward Sein Dienst mir schwer ... Gemordet hast du teuflisch mir Mein Weib! Und lebst ... Mein ist die Rache, redet Gott.“

 

Erläuterungen:

Fuchs: rotbraunes Pferd 

Kurier: Bote 

Nîmes: Stadt in Südfrankreich 

Des Königs Rock: Er hatte die goldenen Lilien der Bourbonen auf seinem blauen Kleid 

Ahnensaal: Rittersaal, das Wohnzimmer, in dem die Porträts der Familie aufgehängt waren 

Herd: Kaminfeuer Schaffnerin: Gehilfin oder Stellvertreterin der Hausfrau 

Linnen: Tischtuch aus Leinen Junker: (junger) Landadeliger in ihrer Schwarzen 

Tracht: Calvinisten waren strenggläubig und ernst, sie trugen keine bunten Kleider. 

Tapetentür: getarnte Geheimtür 

Dem größten König: Sonnenkönig und/oder Gott

„Mein ist die Rache“: Der Schlusssatz bringt die Lebenseinstellung des Schlossherrn zum Ausdruck. Er wird vom Apostel Paulus aus 5. Mose 32,35 zitiert, und zwar in seinem Brief an die christliche Gemeinde in Rom (Römer 12,19) und  zur Unterstützung seiner Aufforderung: „Rächt euch nicht selbst“.

 

Bild aus: "L'exode des Hugeunots", Seite 10, Musée du Désert, Samuel Bastide

 
 

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