Frauen im Stammbaum von Jesus

 

Ausgerechnet zu Beginn der Weihnachtsgeschichte finden sich im Stammbaum Jesu 4 Frauen mit zweifelhaftem Ruf. Will Matthäus der Schreiber des Evangeliums die Frauen schlecht machen? Ist die Bibel frauenfeindlich?

Für die Zeit und den Kontext ist es tatsächlich ungewöhnlich, dass Frauen erwähnt und dann auch noch namentlich genannt werden. Erst recht, weil die vier allesamt keine Jüdinnen waren. Matthäus ‘kontaminiert’ damit die Ahnenreihe von Jesus. Doch er macht etwas Weiteres, entgegen jeglicher Konvention seiner Zeit: Er integriert nicht die berühmten Matriarchinnen des Judentums wie Sara, Rebekka, Rahel und Lea in die Ahnentafel Jesu, sondern ausländische Frauen mit teilweise zweifelhaftem sexualethischem Hintergrund. In den biblischen Erzählungen erfahren wir einiges über deren, ungewöhnliche Lebenswege und außergewöhnliche Persönlichkeiten.

 

Tamar

Tamar, die Mutter von Perez und Serah ist nicht die Ehefrau von Juda, des Vater der Zwillinge, sondern die mehrfache Schwiegertochter. Wie das möglich?

Juda gab seinem ältesten Sohn die kanaanitische Tamar zur Frau. Als dieser stirbt, ohne Kinder zu hinterlassen, gibt Juda ihr seinen zweiten Sohn Onan. Das war damals üblich. Der Bruder sollte der Witwe Nachkommen verschaffen. Als Onan stirbt, begreift Tamar bald, dass Juda ihr nie einen weiteren seiner Söhne zum Mann gegeben wird. Sie greift deshalb zu einer List und verkleidet sich als Prostituierte. So zeugt der Schwiegervater mit seiner Schwiegertochter einen der Vorväter von Jesus. Als die Sache auffliegt, entlarvt Tamar ihren Schwiegervater. Dieser meinte: "Sie ist gerecht, ich nicht. denn ich habe sie meinem Sohn Schela nicht gegeben." (1. Mose 38,26)

Im Stammbaum Jesu steht die Tamar, eine ausländische, unbekannte Frau mit dubiosem Ruf. Aber ihr wird zugesagt, dass sie gerechter lebte als der jüdische Stammvater Juda.

Rahab

Rahab ist im Unterschied zu Tamar eine wirkliche Prostituierte. Sie lebte in Jericho und versteckte die von Josua ausgesandten Spione in ihrem Haus und verhalf ihnen so zur Flucht. Damit zeigt sie, dass sie dem Gott Israels mehr vertraute als den Göttern ihres eigenen Volkes (Josua 2+6). Was für ein Kontrast in dieser Geschichte. Achan, der Jude wird zusammen mit seiner Familie Verräter an Israel, in dem er nach der Eroberung der Stadt verbotene Beute versteckte. Rahab ist ein Beispiel dafür, dass die Kanaaniter damals als Teil des Volkes Gottes willkommen waren, wenn sie dem Gott Israels vertrauten. Dies war möglich, egal, wie die ethische Lebensführung dieser Person bis dahin aussah. Gleichzeitig waren Juden, die sich durch ihr Verhalten als defakto Ungläubige zeigten, in ihrer Beteiligung am Volk Gottes gefährdet.

Im Stammbaum Jesu erscheint eine nicht-jüdische Dirne, die aber dem Gott Israels mehr vertraut hat, als manche Juden es taten. Wegen ihren Taten wird sie im Neuen Testament erwähnt (Hebräer 11,31 und Jakobus 2,25).

Ruth

Ein ganzes Buch wird im Alten Testament nach Ruth genannt. Ruth ist eine Moabiterin. Frauen aus Moab waren für Juden ein absolutes No-Go, weil sich der Präzedenzfall aus der frühen Geschichte Israels tief  in die nationale Seele eingebrannt hatte. Beim Auszug aus Ägypten begannen sich die Männer mit moabitischen Frauen einzulassen. Die Frauen luden die Männer auch zu Opferfesten ein, die sie zu Ehren ihres Gottes feierten (4. Mose 25,1+2). Moabitische Frauen waren nicht nur verführerisch in ihrer Schönheit, sondern auch in Bezug auf ihren Glauben. Von Ruth aber lesen wir: "Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott". Ruth die potentiell religiös irreführende und sexuell verführerische Ausländerin vertraut dem Gott Israels, trotz der Tatsache, dass er das grosse Leid in ihrem Umfeld nicht aus der Welt schafft.

Batseba

Matthäus nennt den Namen dieser Frau nicht. Batseba war die Frau, mit der David seinen berühmten Seitensprung hatte (2. Samuel 11). Batseba badete nackt auf de Flachdach ihres Hauses. David beobachtete von seinem Palast aus. Er war so hingerissen, dass er Batseba zu sich hat bringen lassen. Bleibt Batseba überhaupt eine Wahl? Batseba wurde schwanger. Als der Versuch die Sache zu vertuschen fehlschlug, schickt David den Uria in den Tod. Hat Batseba davon gewusst? Wir wissen es nicht. Es gibt viele Fragen die unbeantwortet bleiben. 

Batseba ist eine jüdische Frau eines Ausländers der am Hof Davids diente. Trotz ihrer zweifelhaften Geschichte bringt sie den Sohn zur Welt, aus dessen Abstammung eines Tages der Retter der Welt, der Messias geboren wird. 

 

Der Verfasser des Matthäusevangeliums erinnert an diese Geschichten, um zu zeigen, dass auch in der Vorfahrenreihe von Jesus das Schwierige nicht fehlt. In diesem Umfeld ist Gott auf diese Welt gekommen. Er hat sich heruntergelassen und ist ganz und gar Mensch geworden. 

Wir leben in einer Welt, in der die Liebe erschlichen, erkauft, missbraucht und erzwungen wird. Das war schon damals so und es ist heute noch so. Nichts neues. Wenn vom Kommen Jesu die Rede ist, dann hat das etwas zu tun mit genau diesen Realitäten. Weihnachten hat etwas zu tun mit der Realität der Sünde. Weihnachten bricht in den Kreislauf von Schuld und Sünde hinein. Die Situation ist untragbar geworden. Die Sünde hat Überhand genommen. Sie wurde die Macht. Eine Macht, wie die Bibel sagt, welche den Tod in ihren Reihen hat.

Die vier Frauen im Stammbaum Jesus sind ein eindrückliches Beispiel dafür, wie tief die Menschheit von der Macht der Sünde ergriffen worden ist. Von der Schuld der Männer wird im Lauf des Evangeliums noch genug berichtet: Kindermord von Bethlehem; Mord an Johannes dem Täufer, Mord an Stefanus. Die Macht der Sünde hatte überhand genommen. Die vier Frauen sind aber auch ein Symbol dafür, dass die Gnade in Christus mächtiger geworden ist. Gott hat eine besondere Geschichte gestaltet. 

 

Römer 5,12

"Durch einen einzigen Menschen, nämlich durch Adam, ist die Sünde in die Welt gekommen und als Folge davon der Tod. Nun sind alle Menschen dem Tod ausgeliefert, denn alle haben auch selbst gesündigt."

 

Römer 5,15-17

"Adams Schuld hatte Folgen für alle Menschen. Insofern ist er das genaue Gegenbild zu Christus, der kommen sollte, um uns zu erlösen. Freilich lässt sich die Erlösung, die uns Christus geschenkt hat, nicht mit Adams Verfehlung vergleichen. Denn durch das Vergehen des einen wurde die gesamte Menschheit dem Tod ausgeliefert; durch Jesus Christus aber, diesen einen Menschen, haben alle in überreichem Maß Gottes Barmherzigkeit und Liebe erfahren." 

 

Dass bei Matthäus Frauen im Stammbaum Jesu sind und dann erst noch  solche von zweifelhaftem Ruf, lässt auch im Blick auf unsere Vorbehalte aufhorchen. Weder Geschlecht, ethnische Herkunft, gesellschaftlicher Ruf noch vorausgehende moralische Lebensführung entscheidet darüber, wer Teil von Gottes Volk werden kann. Matthäus entgegnet am Anfang seines Buches mit der genial gestalteten Ahnenreihe von Jesus den Vorbehalten seiner Leser gegenüber Menschen, die es aus ihrer Sicht zu verachten und zu meiden galt. Matthäus zeigt seinen Lesern, dass sie ihre Vorbehalte abbauen müssen gegenüber Menschen, die nicht zu ihrer sozialreligiösen Gruppe gehören, denn diese leben mitunter gerechter und haben mehr Glauben an den Gott der Bibel, als sie selbst.

Man glaubt es kaum, aber heute in unserer Zeit ist es gar nicht so einfach einen Stammbaum von Jesus zu finden, in welchem Frauen aufgeführt werden. Das ist ein Witz, aber leider Realität. Zum Teil werden die Frauen, aus welchem Grund auch immer, einfach verschwiegen. Im Bild links musste ich die bei Matthäus erwähnten Frauen in roter Schrift erst noch einfügen. Matthäus war zu seiner Zeit ganz schön progressiv. Mehr als uns offensichtlich lieb ist. 

 

Wir sollten unsere Vorbehalte überdenken. Vorbehalte gegenüber Drogensüchtigen, gegenüber Ausländer, Vorbehalte gegenüber Frauen welche abtreiben, Vorbehalte gegenüber sozial Schwachen und Armen, gegenüber Andersdenkenden, gegenüber extrem Übergewichtigen oder Untergewichtigen, gegenüber Menschen mit Behinderungen, gegenüber ......

 

 

Realsatire:

Viele, viele Monate nachdem ich über die Frauen im Stammbaum Jesus einen Vortrag gehalten hatte, erhielt ich ein Echo einer Zuhörerin, das mich umgehauen hat. Sie ärgerte sich darüber, dass ich in der Weihnachtszeit nicht von Sara oder Maria, oder von anderen Frauen mit Vorbildcharakter gesprochen hatte, sondern gerade von negativ belasteten Personen. Es hätte ja genügend positive Geschichten gegeben.

Aber darin liegt ja gerade der Witz an der Sache. Nicht ich habe die Auswahl getroffen, sondern Matthäus der fromme Mann, der sich mit der frohen Botschaft an seine Volksgruppe, die Juden gewendet hat. Offensichtlich sollte im Bericht deutlich werden, dass Gott auf krummen Linien gerade schreiben kann und er nicht aus ist, auf super fromme Menschen mit tadellosem Leumund. Er begegnet allen Menschen und er schreibt seine Geschichte eben auch mit denen, die nicht den Vorgaben und Erwartungen von Menschen entsprechen.

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