Eine revolutionäre Entdeckung

 

Hugenotten, Teil 1, Reformation

 

Es ist die Zeit der Renaissance und des Humanismus. Die Menschen fingen an, mehr über ihr eigenes Leben nachzudenken und sich gegen die starre geistigreligiöse Welt des Mittelalters aufzulehnen. Und diese Ideen fanden sie in der Antike, also in der Zeit vor dem Mittelalter. Deshalb übernahmen sie viele Teile der antiken Kultur, wie zum Beispiel Skulpturen im Stil der Antike. Die alten griechischen Philosophen hielten den eigenen Verstand für ein wichtiges Gut. Jeder Mensch sollte, so gut er es konnte, seinen Verstand benutzen und weiterbilden. Die Unabhängigkeit und die Freiheit jedes einzelnen Menschen wurde für die Leute immer wichtiger. Die äussere und innere Verengung, wie sie das zu Ende gehende Mittelalter mit sich gebracht hatte, war überwunden. In Folge der freigeistigen Strömung in Kunst, Wissenschaft und Religion fand die Reformation eine bereite Anhängerschaft.

 

Der König Franz I. (1515-1547) fördert alles, wenn es nur neu, nur nicht kirchlich, nur nicht prüde ist. Überall werden gotische Türme und Häuser niedergerissen. Ausländische Künstler schaffen grossartige Schlösser mit neuem Baustil wie z.B. Fontainebleau. Der höfische Geschichtsschreiber dieser Zeit, Brantôme beschreibt den Hof als einen Pfuhl der Schamlosigkeit. Der König selber stirbt an Syphilis, nachdem er seine zweite Frau und die Damen des Hofes damit infiziert hat. Es wundert nicht, dass in dieser Zeit die Leichtgläubigkeit zerbricht und an ihre Stelle die Skepsis tritt. Die wirtschaftliche und politische Macht der Kirche, die Sittenlosigkeit vieler Geistlicher und das gewollte Zurückhalten von biblischen Wahrheiten gegenüber dem gewöhnlichen Volk wurden zur Basis von offener Kritik. 

Man hatte mit geschlossenen oder gesenkten Augen gebetet. Nun riss man sie auf und wundert sich. Es wird nun die Misswirtschaft, die in der Kirche herrscht, bekämpft. Man beginnt über die Ursachen zu grübeln. Da ist dieser sinnlos sich selbst übertreibende Reichtum der Kirche und ihrer Orden. Die Unwissenheit und Sittenlosigkeit vieler Geistlicher. Die Verwahrlosung des Volkes in der Seelsorge und Unterricht. Erzbistümer, Bistümer, Abteilen sind jungen Söhnen des Adels ausgeliefert, die ihren Residenzen bloss die Steuergelder entziehen, sich selbst aber in Paris aufhalten, um ein von Pflichten unbeschwertes Leben zu führen. Auch die Pfarrer versuchten ihr Einkommen zu erhöhen, in dem sie sich als Ärzte, Apotheker, Höflinge, Landwirte betätigten. Oft hatten sie jahrelang nichts zu tun mit ihre Kirchgemeinde. Sie ernannten Stellvertreter, Vikare, und diese nahmen die Pfarrei in eine Art von Pacht. Auch sie zogen es vor, sich im Trubel des weltlichen Lebens aufzuhalten. Sie überliessen die Obhut von Schule und Krankenhaus der Dienerschaft. Jede dieser Hände nahm, was es zu nehmen gab. Für das Volk selbst blieb so gut wie nichts. Was man in der mittelalterliche Befangenheit nicht gewagt hätte: es kommt zu Streiks. So legen z.B. am 1. Mai 1539 die Buchdruckgehilfen in Lyon die Arbeit nieder. Sie klagten, dass sie nicht genug zu essen hätten, während die Besitzer der Werkstätten ihr Kapital in einem einzigen Jahr verdoppelt hatten. 

 

 

Margarete von Navarra (Schwester von König Franz I.) sympathisierte mit Luther und förderte protestantische Intellektuelle innerhalb Frankreichs

 

 

Erasmus von Rotterdam kritisierte bereits 1509:
"... Zur selben Kategorie zähle ich die, welche in dem falschen, doch süssen Glauben leben, dass einer, der zufällig die Figur oder ein Abbild des heiligen Christophorus anschaut, an diesem Tag gegen den Tod gefeit bleibt; dass einer, der in den vorgeschriebenen Worten die Statue der heiligen Barbara anruft, den Wechselfällen des Kampfes entkommen wird; oder dass, wer an bestimmten Tagen bestimmte Kerzen vor dem Bild des heiligen Erasmus anzündet und dabei bestimmte Gebete spricht, bald ein reicher Mann sein wird. ... Da opfert ein Händler, ein Soldat, ein Richter einen Taler aus dem Gewinn so mancher Dieberei und glaubt, dass sei genug, in einem einzigen Augenblick den ganzen Dreck seines Lebens wegzuwaschen; jeder Meineid, jede Ausschweifung, Völlerei, jeder Streit, Mord, Betrug, Verrat könne gleichsam vertraglich wiedergutgemacht werden, und zwar so gründlich, dass sie sogleich die ganze Reihe ihrer Verbrechen von vorne beginnen dürften."

 

Portrait von Erasmus, von Hans Holbein dem Jüngeren, Anfang 16.Jh., Öl auf Leinwand, Louvre

 

 

 

 

Auch in der Kirche wurde der Ruf nach Reformen laut. Wenn König und Kirche versagen, wo sind dann Antworten zu finden? Wo ist Wahrheit?

Die Menschen fanden sie in der Bibel!

 

Römerbrief 1,17

In der Guten Nachricht macht Gott seine Gerechtigkeit offenbar: seine rettende Treue, die selbst für das aufkommt, was er vom Menschen fordert. Nur auf den vertrauenden Glauben kommt es an, und alle sind zu solchem Glauben aufgerufen. So steht es ja in den Heiligen Schriften: »Wer durch Glauben vor Gott als gerecht gilt, wird leben.«

Dieser Vers war für Luther die „Pforte zum Paradies“. Gottes ewige Gerechtigkeit wird als reines Gnadengeschenk verstanden, das dem Menschen nur durch den Glauben an Jesus Christus gegeben wird. Keinerlei Eigenleistung kann dieses Geschenk erzwingen. Auch der Glaube selbst ist Gottesgeschenk. Wir sind gehalten und genötigt, uns ganz auf Gott zu verlassen. Oder anders formuliert: Der Mensch muss seine Ohnmacht vor Gott anerkennen.

Mit der Reformation begann 1517 kurz nach dem Thesenanschlag von Martin Luther eine Neuordnung der Verhältnisse in Europa. Jahrzehnte tobte die Auseinandersetzung um die politische Landschaft und das Mächtegleichgewicht. Zahlreiche kriegerische Auseinandersetzungen forderten Hunderttausende Tote. Diese Phase dauerte bis zum Augsburger Religionsfrieden im Jahre 1555 an. Ursprünglich sollte die Kirchenverfassung erneuert werden. Die katholische Kirche weigerte sich, die Reform als solche anzuerkennen, und bekämpfte diese vehement. Sie sah protestantische Kirchen als Kirchen an, die sich abgespalten hatten und nun in den Schoss der katholischen Kirche zurückgeholt werden sollten. Die Zeit der Rekatholisierung begann.

 

Die Reformation in Frankreich

Am Anfang der Reformation in Frankreich steht der Bischof von Meaux. Guillaume Briçonnet, Conte de Monbrun, früherer Gesandter Franz I. beim Papst. Was er von Rom zurückbrachte, war der Protest. Was er vorfand, war die Unordnung in eigenen Diözese. Durch Luthers Schriften angestossen, neigt er sich seit 1518 den reformerischen Ideen von Erasmus und Lefèvre d'Étaples zu. Er begann sein Bistum zu erneuern. In den Abendstunden empfing er einen Kreis gleichgesinnter Gelehrter wie Farel oder Lefêvre d'Etaples. Im Licht der Bibel wird über eine Reform der Kirche nachgedacht. Um diesen Kreis wieder sammelte sich ein anderer Kreis von Handwerkern. Mit der Zeit finden sich Edelleute bei ihm ein. Dann aber auch Schiffer, ein Dorflehrer. In den Predigten vertritt er die revolutionäre Ansicht, dass sie Menschen nicht ihre Börse, sondern ihr Herz zu Gott tragen sollen. 

 

Im Verlauf der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts verbreitete sich in Frankreich aus mehreren Quellen reformatorisches Gedankengut. So übersetzten etwa Jacques Lefèvre (1523−1530) und Pierre Olivétan (1535) die Bibel ins Französische und machten sie dadurch einem weiteren Leserkreis zugänglich. Guillaume Farel propagierte die Reformation durch Schriften und Predigten. Nach 1519 wurden auch Luthers Schriften in Frankreich bekannt und bereits zwei Jahre später von der theologischen Fakultät in Paris und dem Obersten Gerichtshof verurteilt. 

Unter Franz I. wurden 1535 erstmals Protestanten in Paris verbrannt. Auch unter Heinrich II. und später unter seinem Sohn Franz II. kam es 1549 und 1559 der neuen Religion und Ausschreitungen gegenüber Protestanten. 

 

Das löste die ersten Fluchtbewegungen nach Deutschland und in die Schweizer Eidgenossenschaft aus. Unter den Flüchtlingen befand sich Johannes Calvin, der sich in Genf niederliess. Von dort unterstützte er die reformatorische Bewegung in Frankreich und gewann gemeinsam mit weiteren Reformatoren Teile der Eidgenossenschaft für die Reformation. Calvins Lehre wurde seit etwa 1550 zum bestimmenden Element der reformatorischen Bewegung in Frankreich. Zur selben Zeit bürgerte sich für die Anhänger Calvins die Bezeichnung "huguenots" ein. In den 1550er-Jahren entwickelten sich reformierte Gemeinden mit Kirchenvorständen und Predigern. 1559 trat – aufgrund der starken Verfolgung im Geheimen – die erste Nationalsynode der reformierten Gemeinden Frankreichs in Paris zusammen. Sie verabschiedete ein Glaubensbekenntnis und eine Kirchenordnung, die sich an Vorlagen Calvins orientierten. Damit begründete sie die Reformierte Kirche Frankreichs.

1555 entstanden in Paris, Meaux, Poitiers, Angers und Orléans protestantische Kirchen, die Zahl der protestantischen Gemeinden betrug wohl 1200, und in Frankreich bekannten sich vermutlich über eine Million Menschen zur reformierten Kirche - trotz Repressalien und Verfolgung.

Le temple de Paradis de Lyon , par Jean Perrissin 1596-1570; Musée international de la Réforme de Genève

 

 

 

 

 

Der Beginn des 17. Jahrhunderts war eine konstruktive Zeit für die Hugenotten. Sie errichteten neue Kirchen und Akademien zur Ausbildung von Predigern. Sie hielten Nationalsynoden und politische Versammlungen ab und erhielten vom König Gehör. 1610 wurde jedoch Heinrich IV. ermordet. Die Verhältnisse veränderten sich erneut.

 

Der Buchdruck, die Innovation des 16. Jahrhunderts

Damals gingen Reformbewegungen innerhalb der Kirche Hand in Hand mit neuen technischen Innovationen. Eine der wichtigsten Neuerungen war die Erfindung des modernen Buchdrucks. Sie beeinflusste massgeblich den Werdegang der Reformation.

Wissen und Bildung waren lange Zeit nur für eine kleine Elite zugänglich und wurden in Klöstern gepflegt. Erst im Spätmittelalter entstanden Schulen und Universitäten, so dass die Nachfrage an Büchern stieg. Die Zahl der schreibkundigen Mönche zur Vervielfältigung der Werke reichte nicht mehr aus. So bildeten sich weltliche Schreibstuben und der Klerus verlor seine Bildungshoheit. Die Volkssprache setzte sich durch und die lateinische Sprache trat immer mehr in den Hintergrund. Auch Martin Luther war ein Freund der Volkssprache. Die Bibelauslegung sollte nicht länger Gelehrten und dem Papst überlassen werden. Allein die Bibel ("sola scriptura") sollte als Richtschnur für Glaubensfragen gelten. Luther wollte, dass jeder vom Bauern bis zum Adligen den Inhalt der Bibel verstehen sollte. Für die Verbreitung der Schrift kam die Erfindung von Johannes Gutenberg gerade recht.

"Die hohen Wohltaten der Buchdruckerei sind mit Worten nicht auszusprechen. Durch sie wird die Heilige Schrift in allen Zungen und Sprachen eröffnet und ausgebreitet, durch sie werden alle Künste und Wissenschaften erhalten, gemehrt und auf unsere Nachkommen fortgepflanzt."  Martin Luther, Tischreden

 

 

 

Von Autor/-in unbekannt 

Aus: Chants royaux sur la Conception, couronnés au puy de Rouen de 1519 à 1528, Seite 66, (folio 29v) édition XVIème siècle, Bibliothèque Nationale de France, Département des manuscrits, Paris.

 

 

Der Augsburger Religionsfriede

Dieses Reichsgesetz des Heiligen Römischen Reichs vom 25. September 1555 gab den Landesfürsten endgültig das Recht, auf ihrem Gebiet die Konfession zu bestimmen. "Cuius regio, eius religio" wurde zur Grundlage. Das bedeutet übersetzt: "Wessen Gebiet, dessen Religion".

 

 

Die beiden Schlusseiten des Augsburger Religionsfriedens mit Unterschrift und dem Siegel Kaiser Ferdinands I., Wien, Staatsarchiv

 

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