Die Sünde hassen, den Sünder lieben

 

Ein verbreiteter Gedanke unter evangelikalen Christen. Ich habe den Slogan oft schon gehört und ihn eigentlich wohl eher unreflektiert bejaht. Auf den ersten Blick scheint es ein gutes Konzept zu sein, um mit dem Spannungsfeld von Sünde und dem Lieben von Menschen umgehen zu können. Der Satz wird zitiert, wo bestimmte Verhaltensweisen von Menschen zur Sprache kommen und es darum geht, diese Verhaltensweisen zu verurteilen – Bsp.: Abtreibung; Scheidung und erneute Heirat; Homosexualität …

Ist das eine biblische Aussage?

Sie findet sich in dieser Weise nicht in der Bibel. Das ursprüngliche Sprichwort stammt höchstwahrscheinlich aus den Briefen von Augustinus im 4.Jahrhundert, wo er einem Nonnenorden bei der Verhängung von Strafen empfahl, an die Person zu denken. In der Neuzeit kommt der Satz in Gandhis Autobiografie von 1929 vor, in der er kommentierte, wie schwierig ein Umsetzung in die Tat sei.  

 

 

Von der Sünde

Unter Sünde werden meistens  moralische Verfehlungen verstanden, wie: Lügen, Heucheleien, Ehebruch, stehlen, fluchen,  ….

Aber Achtung:

1.Johannes 5,17 

„Jede Ungerechtigkeit ist Sünde“

Wer kann da bestehen? Wie viel Ungerechtigkeit gibt es  doch in dieser Welt und wie sehr sind wir selber beteiligt, auch als Täter? Wer kann da mithalten? Damit ist klar, dass kein Mensch vor Gott in dieser Weise fehlerfrei leben kann. Das Leben ist zu komplex. Wir müssten perfekt sein. Und das ist niemand von uns. 

Manche Ausleger meinen, man müsse Sünden regelmässig und möglichst schnell bekennen. Jedes Gebet sei ein Chance, Gott für konkrete Sünden um Vergebung zu bitten. Aber da wird man nicht fertig. Das Gebet und die Bitte werden zu einer Leistung. Eine Leistung, die uns überfordert.

Römer 14,23

"Alles Tun, das nicht aus dem Glauben kommt, ist Sünde." 

Im Zusammenhang mit moralischen Sünden müsste man nicht lediglich das betrachten, was man falsch getan hat, sondern auch das, was man unterlassen hat. 

Jakobus 4,17 

„Wer also das Gute tun kann und es nicht tut, der sündigt.“

Diese Unterlassungssünden sind genau so problematisch: mangelnde Liebe, anderen nicht helfen, … das Gute nicht tun. 

Sich auf moralische Verfehlungen zu konzentrieren ist einfach. Das ist dann der andere, der falsch liegt. Ich bin richtig und ich kann mir dem Finger zeigen. Die Konzentration auf moralische Verfehlungen kann nicht aufgehen.

Du musst wissen:

Moralische Verfehlungen sind nicht  fundamental, nicht absolut ausschlaggebend. Das bedeutet nicht, dass man tun und lassen kann, was man will und es keine Konsequenzen hat. Aber, es sind nicht in erster Linie diese moralischen Verfehlungen oder Unterlassungen, die uns von Gott trennen, jedenfalls nur begrenzt, nicht vorrangig. Würde theoretisch ein Mensch keinerlei moralische Verfehlungen begehen, er wäre trotzdem von Gott getrennt.

Manchmal wird gesagt, dass Gott Sünde als so gefährlich einschätzt, dass er Sündern den Zugang zum Himmel verwehrt. Aber Gott verwehrt nicht. Es ist vielmehr so, dass der Himmel von einem Menschen nicht aus eigener Karft erreichbar ist. Das ist ein grosses Missverständnis. Gott muss nichts verwehren. Vielmehr brauchen wir seine Hilfe, um dahin zu kommen.

Römer 5,12 

„Durch den einen Menschen, Adam, ist die Sünde in die Welt gekommen und als Folge davon der Tod. Nun sind alle Menschen dem Tod ausgeliefert.“

Das Grundübel ist die Trennung von Gott. Ohne Bezug zu Gott ist das Leben gefährdet und es gibt keine Zukunft, die über diese Dimension hinausgeht. Jeder Mensch ist in diesem Sinne ein Sünder. Sünde ist die große Störung in dem Verhältnis zwischen Gott und Mensch.

Johannes 16,9 

„Ihre Sünde besteht darin, dass sie nicht an mich glauben“

Glauben = Vertrauen

Niemand hat Grund auf Andere mit dem Finger zu zeigen. Wir können Gottes Nähe aus eigener Kraft nicht erreichen. Da sind wir alle gleich vor Gott. Wir hängen alle in gleicher Weise von Seiner Liebe und Gnade und Barmherzigkeit ab. 

Es wird jetzt jemand einwerfen, dass man doch jemanden zurechtweisen müsse, weil er sonst verloren geht. Nein. Nochmal, verloren gehen wir nicht wegen moralischen Sünden, sondern, weil wir nichts von Gott wissen wollen.

Noch 1 Aspekt zum Thema: 

 

Gott wertet Sünde nicht

Siehe Kataloge bei Paulus (Galater 5,19-21 und Römer 1,28-32)

Neid ... Trunksucht; Götzendienst ... Uneinigkeit; Heuchelei, Kinderschänder …. Alles wird in einem Atemzug genannt.

Wir werten gerne…. Wir sehen Lügen und heuchlerisches Tun als Kavaliersdelikt, aber Scheidung und Abtreibung ist dann schlimm. 

Irgendwie ist solche Wertung verständlich, denn betrachtet man das gesellschaftliche Leben, dann spielt es schon eine Rolle, ob man stiehlt oder jemanden umbringt. Das muss andere Konsequenzen haben. 

Aber hier geht es nicht um diese Gesellschaft, sondern vielmehr um die Frage, wie unsere Beziehung zu Gott im Reinen sein kann. Was trennt uns? Sünde trennt. Sünde macht kaputt. 

Das bedeutet nicht, dass Gott keinen Unterschied macht. Jesus nimmt Sünde sehr wohl ernst. Ja, aber das Gegenteil von die Sünde lieben ist wohl bei Jesus nicht die Sünde hassen, sondern eher die Sünde zu tragen, an ihr zu leiden, letztlich sie selbst zu erleiden.

 

Gott musste da eingreifen, in seiner Liebe, Barmherzigkeit  und Gnade. Gott selber in Jesus, seinem Sohn, ist in diese Welt gekommen. Er hat sich heruntergelassen auf unsere Ebene. Das nur, um den Weg für eine Beziehung zu ihm frei zu machen. So hat Gott selber in Jesus Christus die Vorzeichen verändert.  

 

Von der Liebe

Unsere Berufung besteht nicht darin, andere Menschen zu korrigieren. 

Gott hat uns nicht dazu berufen, Menschen, die nicht nach unseren moralischen Vorstellungen leben, klar zu machen, dass wir ihre Art zu leben hassen und das, was sie tun, aber dass wir sie trotzdem lieben. "Erst wenn du deine Sünden los wirst, dann können wir dich wirklich akzeptieren." Ich bin froh, dass das nicht Gottes Art ist. Wir sind nicht dazu berufen, die Sünden eines anderen aufzulisten und zu entscheiden, wann wir damit beginnen können, diese Person wirklich zu akzeptieren. Wir akzeptieren die Person samt ihren Sünden und dem ganzen Drumherum. Wir müssen dieser Person nicht klar machen, dass wir sie als Person lieben, aber ihren Charakter hassen. Menschen anzunehmen ist unsere Berufung, mit ihren Fehlern und ihren Schwächen. Wir können nicht auswählen, wen wir lieben wollen. Jesus fordert uns auf andere zu lieben, ja sogar unsere Feinde zu lieben. Er fasst es in 2 Gebote zusammen: Gott lieben und den Nächsten lieben (Markus 12,31). 

Das fällt uns schwer. Wir sind es gewohnt, alles zu korrigieren und zu beheben - siehe Schönheits-OP‘s.

Wir sind berufen, Menschenfischer zu sein, aber wir sind nicht dazu berufen, die Menschen zu läutern. Allein der Heilige Geist kann Läuterung und Überführung bringen. Es ist nicht unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass sich Menschen ohne Christus unwohl fühlen.

 

Jesus 

Schauen wir uns den Dienst Jesu genau an. Wir sehen, dass sich die Menschen in einer Atmosphäre des Angenommenseins verändert haben. Die Frau am Brunnen, die Frau die beim Ehebruch erwischt wurde, der Steuereintreiber oben auf dem Baum, der Apostel, der Jesus dreimal verleugnet hat, usw. Jesus hat Sünden nie gebilligt. Aber er liebte bedingungslos. Er akzeptierte die Menschen. Er redete mit ihnen. Er ass mit ihnen. Das hat alles verändert. Der Schutzraum, den Jesus eröffnete, machte es wahrscheinlich der Frau am Brunnen erst möglich, später auch den eigenen Anteil der Schuld an ihrer Lebenssituation offen zuzugeben (Johannes 4,29). Dasselbe beim Steuereintreiber: Wir vernehmen lediglich, dass Jesus zu ihm nach hause geht und mit ihm an einem Tisch sitzt. Dieser Raum, den Jesus da eröffnete, befähigte den Mann, beigefügten Schaden wieder gut zu machen.

Die schärfsten Worte von Jesus galten den Religiösen, (jenen mit Erkenntnis) und nicht den Sündern (jenen ohne Erkenntnis). Es waren ausgerechnet die Frommen, denen sein Zorn galt. Er geiselt sie mit „Schlangenbrut“ und warf ihnen „Scheinheiligkeit vor (Markus 12,40) und hinter Gesetzestreue versteckte Egozentrik (Matthäus 23,5+6). Lieblosigkeit und Unbarmherzigkeit (Matthäus 23,23). Ihnen drohte er für ihre versteckte Habgier (Lukas 16,14). Wollte man überhaupt von Hass reden, dann entlud Jesu sich über jene, die dem Sünder den Zugang zu Gott versperren wollten. Die sich für gerechter als andere hielten und glaubten, das letztgültige Urteil über Gut und Böse fällen zu dürfen (Lukas 18,9; 11,52; 6,41f)

Warum sagte Jesus den „Sündern“ die sich ihm näherten nicht klarer: „Ich liebe euch, aber eure Sünde verurteile ich“? Lief er nicht Gefahr, dass sie sein mildes Verhalten als „Absegnen“ ihrer Taten verstehen mussten?

Gottes Liebe ist grundlose Liebe, bedingungslose Liebe. Man muss Gott nicht motivieren uns zu lieben. Man muss ihm keinen Grund liefern uns zu lieben. Genau das ist menschliche Liebe. Eros. Sie stellt den Wert eines Menschen fest und liebt ihn entsprechend. Agape, die göttliche Liebe, ist völlig anders. Sie liebt grundlos und stellt damit Wert her. Wir sind wertgeachtet. Gott reagiert nicht mit seiner Liebe. Er ist die Quelle der Liebe. Gott liebt also nicht, weil er etwas Gutes in uns Menschen sieht, einen guten Kern. Er liebt und rettet, weil er die Quelle der Liebe und es Erbarmens ist.

 

Schluss/Fazit:

"Hasse die Sünde und liebe den Sünder" 

Die Wahrheit ist doch: Ich wüsste gar nicht, wie ich die Sünde vom Sünder trennen sollte. 

Wer die Sünde hasst, der muss den ganzen Menschen hassen, denn der Mensch ist ganz Sünder. Aber Hass ist ganz sicher nicht das, was Gott in unserem Leben sehen möchte.

 

Je mehr ich mich mit der Aussage „Hasse die Sünde und liebe den Sünder auseinander setze, desto grössere Zweifel kommen mir daran, dass darin wirklich Evangelium steckt. Ich frage mich sogar, ob die christliche Gemeinde nicht  in ihren Bemühungen zu den „Strömungen des Zeitgeistes“, die sie so fürchtet, zu ethisch moralischen Aspekten Position zu beziehen, womöglich gerade droht, im Wesentlichen in der Nachfolge Jesu versagt.

Was tun wir? Wir lieben die Menschen. Wir bedauern unsere eigenen Sünden. Wir nehmen die Leute da an, wo sie gerade sind. 

Wir sind aufgefordert, bedingungslos den ganzen Menschen zu lieben mit Agape, der Liebe Gottes. Egal welche Sünden er begeht. Und hassen gehört nun schon gar nicht zu unserem Repertoire an Fähigkeiten.

Selbstverständlich ist es richtig, dass wir wissen, wie wir unser Leben gestalten wollen. Ja, wir müssen uns mit moralischen und ethischen Fragen auseinander setzen. Insbesondere mit uns selber gilt es diszipliniert umzugehen und eine gewisse Härte an den Tag zu legen. Jesus selber war vorbildlich in seiner Lebensgestaltung. 

Aber im Umgang mit anderen gilt allem voran die Liebe, Gnade und Barmherzigkeit. Eine Liebe, eine Gnade, die wir selber erfahren durften und jeden Tag selber davon leben können. Es ist die Liebe, die Leben verändert. Nicht das Gesetz. Liebe verändert die Welt.

 

Galater 5,22

"Der Geist Gottes bringt in unserem Leben gutes hervor: Liebe, Freude und Frieden, Geduld, Freundlichkeit und Güte und Treue"

 

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