Jan Antoon Neuhuys: Emigration der Hugenotten
(1566, Ausschnitt) © Wikicommons

Asyl

 

Hugenotten, Teil 20, Migration

 

Nachdem Ludwig XIV. nach langen blutigen Auseinandersetzungen die Anhänger der reformierten Glaubensrichtung mit dem Widerruf des Edikts von Nantes zur Konversion zwingen wollte, zogen viel von ihnen die Fremde einem reuigen Kniefall in der katholischen Kirche vor. 

Eine der wichtigsten Routen führte durch die Schweiz. Diese ist damals eine Gruppe von dreizehn Kantonen, verbündeten Staaten und Untertanenstaaten, vereint durch den Bundestag. Die „ protestantische Schweiz “ umfasst die Republik Genf, die von Bern dominierten evangelischen Kantone und die Grafschaft Neuenburg. 

Was ist mit den Hugenotten geschehen, die es heil in die Schweiz schafften? Das kleine Genf war für die Flüchtlinge wichtige Pforte zur Freiheit. Sie kamen in zwei Wellen, die erste 1540 bis 1590 und die zweite 1680 bis 1690, wobei 1687 die höchste Zahl von Personen das Land passierten. Es waren meist ärmere Leute. Sie kamen mit nichts, ihre erschöpften Kinder tragend, sterbend vor Hunger. Schon nach der ersten Verfolgungswelle infolge der Bartholomäusnacht gewährten die reformierten Kantone, vor allem Bern, den Glaubensgenossen Niederlassung. Sie wurden belohnt durch den Aufschwung der Uhren- und der Textilindustrie dank der tüchtigen Handwerker, Kaufleute und Unternehmer. Auch bei der zweiten Emigrationswelle im 17. Jahrhundert zeigte sich die Schweiz offen. Bern nahm die Hälfte der bedürftigen «Refugianten» auf, Zürich ein Drittel, den Rest Basel und Schaffhausen. Schon bald organisierten sich die Hugenotten­gemeinden selber solidarisch, in der Stadt Bern in der Französischen Kirche. Noch heute sind ihre Spuren zu sehen: Der Seidenweg im Länggassquartier geht auf eine hugenottische Seidenweberei zurück, die Maulbeerstrasse im Monbijou auf eine Plantage der Futterpflanzen. Insgesamt liessen sich etwa 20000 Flüchtlinge dauerhaft in der Eidgenossenschaft nieder, vor allem im damals bernischen Waadtland, das seine Einwohnerzahl signifikant steigerte.

Die Obrigkeiten zeigten sich zwar grosszügig, doch die Aufnahmefähigkeit des ressourcenarmen Kantons Bern war beschränkt. Und in der Bevölkerung zeigte sich schon bald Konkurrenzangst, sodass viele der Flüchtenden die Heimkehr versuchten oder nach Norden weiterzogen. Vor allem nach Deutschland, das wegen der Entvölkerung durch den Dreissigjährigen Krieg Einwanderer willkommen hiess.

 

 

Genf von Süden, Matthäus Merian, 1642.

 

Genf, damals eine Stadt von 16000 Einwohnern beherbergte jeden Tag 4000 Flüchtlinge.

Die Stadt Neuenburg mit ihren 3500 Einwohnern betreute bis 1691 allein 18000. Die Städte platzten unter dem Ansturm aus allen Nähten. Zeitweise überstieg die Zahl der Flüchtenden diejenige der Bewohner. Trotzdem war die Solidarität mit den Schwestern und Brüdern im Glauben gross. Viele Einwohner mussten selbst schmal durch, vor allem in schlechten Erntejahren. Am Ende des 17. Jahrhunderts ist die wirtschaftliche Lage der Schweiz besonders schlecht: Weizenknappheit, Verarmung, Arbeitslosigkeit. Die Ankunft von Flüchtlingen verschärft die interkonfessionellen Spannungen, riskiert die Gefährdung der Neutralität des Landes und verschlimmert eine immer noch fragile wirtschaftliche Situation. Verarmung wird gefürchtet wegen der finanziellen Belastung, die verpflichtet sind, ihren Mittellosen zu helfen. 

 

Industrieller und landwirtschaftlicher Aufschwung dank der Hugenotten

Der Durchzug von rund 140000 und die Aufnahme von vielleicht 20000 Hugenotten war anfänglich eine schwere wirtschaftliche Last. Doch der massive Zustrom von Hugenotten leistete schlussendlich einen positiven Beitrag und regte in den Aufnahmeländern einen wirtschaftlichen Aufschwung an. Viele Migrantenfamilien hatten handwerkliche oder technische oder künstlerische Fähigkeiten mitgebracht, die sich gewinnbringend anwenden liessen. Viele der Migranten beherrschten in der Schweiz unbekannte Techniken und waren ausgestattet mit einer soliden und verantwortungsvollen moralischen Erziehung. Die weit fortgeschrittene materielle Zivilisation Frankreichs am Ende des 17. Jahrhunderts schaffte für die ausgewanderten Handwerker eine günstige Ausgangslage. Von ihrem Knowhow profitierte die Schweiz. Am schnellsten schafften es die Bankiers und Händler, die von Genf und Neuenburg aus neue Fäden nach Paris spinnen konnten. In Genf kamen auch Juweliere, Emailmacher und Uhrmacher rasch zu Ansehen. Grossen Anteil hatten die Hugenotten in der ganzen Schweiz an der Entwicklung der Textilindustrie. Sie führten auf diesem Bereich technische Neuerungen und neuartige Gewebe ein. Die Einrichtung von Gewerbebetrieben, vor allem in der Textilbranche (Lausanne) und der Uhrmacher- und Juwelierkunst halfen die Arbeitslosigkeit und Armut zu vermindern.

Chocolatiers

Der Schweizer Schokoladenhersteller Philippe Suchard (1797-1884) ist hugenottischer Abstammung. Sein Urgroßvater Louis Suchard flüchtet 1696 aus dem südostfranzösischen Combovin in die Schweiz.

1826 gründete Philippe Suchard (1797 - 1884) eine Genusswarenfabrik in Serrières NE, die Wasserkraft ausnützte. Seine Werbung machte die Schweizer Schokolade bekannt.

 

Bild: Stammbaum der Familie Suchard

Aus: Ausstellung "le refuge hugenots en Suisse", Lausanne, 7. Juni bis 27. Oktober 1985

Seidenweber und Tapisseriewirker

Die Hugenotten brachten die Spitzenklöpperei nach Neuenburg, ebenso wie die Seidenbandweberei nach Basel. Vier Tapisseriewirker erhielten 1686 vom Berner Rat den Auftrag, einen Tischteppich für den Ratsaal zu wirken. Diesen ist im Bernischen Historischen Museum als "Hugenottenteppich" ausgestellt. Die Seidenweberei gelangte Ende des 16. Jahrhunderts zur Blüte, durch Hugenotten aus Frankreich. Allein in der Region Zürich waren rund 1000 Spinnerinnen tätig. Das Reigoldswyler Tal in Baselland wurde "Fünflibertal" genannt. Die Herkunft des Übernamens scheint aus dem 19. Jahrhundert zu stammen, wo ein Grossteil der Talbevölkerung ihren Lebensunterhalt mit Posamentern verdiente. Man versteht darunter das Weben von Borten, Fransen und Bändern. Da die Talbevölkerung skeptisch gegenüber den Geldscheinen aus Papier war, akzeptierten sie von den Basler Seidenherren nur Fünfliberstücke, wovon sich dann der Talname ableitete.

Uhrenmacher

Die Hugenotten kamen mit ihrem Know-how in der Uhrmacherkunst in die Schweiz und brachten ihre Vorliebe und grosses Fachwissen insbesondere für tragbare, kleinformatige Uhren mit. Dieses verband sich auf fruchtbare Weise mit der städtischen Gold- und Silberschmiedekunst, sodass Genf zum Zentrum der Zeitmessung aufstieg. Um 1785 waren in Genf rund 20'000 Personen in der Uhrenindustrie beschäftigt, die rund 85'000 Uhren pro Jahr herstellten. Das Gewerbe dehnte sich durch Heimarbeit nach Neuenburg (50'000 Uhren pro Jahr) und in den Jura aus. Klingende Namen wie «Audemars Piguet», «Jaeger-LeCoultre» und «Longines» gehen auf hugenottische Manufaktu­ren zurück. Die Uhrmacher stellten auch Musikdosen und hochspezialisierte Spielzeugautomaten her, die von einem Uhrwerk angetrieben wurden.

Als älteste erhaltene Genfer Uhr darf wohl die Halsuhr des Uhrmachers Duboule im Internationalen Uhrenmuseum in La Chaux-de-Fonds gelten, die auf den Beginn des 17. Jahrhunderts datiert ist. Ursprünglich aus Lyon stammt die Familie Sermand, die von 1620 an in Genf sehr kostbare Uhren mit Elementen aus Bergkristall herstellte.

Goldschmiede, Bankiers

Man begann sich in Zünften zu organisieren, zuerst 1566 die Goldschmiede, dann 1601 die Uhrmacher. Auch die Bankenfamilie Sarasin hat ihre Wurzeln in Frankreichs Protestantismus.

 

Bild: Waage mit Gewichtssteinen für Goldschmiede und Händler

Aus: Ausstellung "le refuge hugenots en Suisse", Lausanne, 7. Juni bis 27. Oktober 1985

Bild aus: Ausstellung "le refuge huguenots ein Suisse", Lausanne 7.Juni bis 27.Oktober 1985

 

 

 

Text: Informationschrift zur Ausstellung, Seite 8 

 

 

 

 

 

Paul und Anne Coulon aus den Cevennen in  hohem Alter. Aus der Ehe, die sie 1767 geschlossen hatten, gingen 2 Söhne hervor. Paul Coulon starb 1821 im Alter von 91 Jahren als Millionär. Er hatte sich zeitlebens sehr stark für seine leidenden Glaubensgeschwister in Frankreich eingesetzt. 

 

Die Schweiz, das Tor in den Norden

Die Schweiz ist ein Asylland. Schätzungen gehen davon aus, dass sich etwa 20'000 Hugenotten dauerhaft in der Schweiz niederliessen. Während sich in der Romandie und manchen Städten wie Bern Flüchtlinge niederlassen durften, versuchte man sie an den Grenzorten Basel und Schaffhausen nach Norden weiter zu schicken. Die Kantone Zürich und auch Bern sowie die Republik Genf wurden Durchgangsorte in Richtung der nordischen Länder, Deutschlands und Englands. Nicht aus Hartherzigkeit, sondern aus eigener Bedürftigkeit. Durch die Massenemigration kam es auch zum Missbrauch der Hilfsbereitschaft. Die Behören sahen sich genötigt, den durchziehenden Flüchtlingen versiegelte Reisebriefe mitzugeben. Nur wer solche Dokument vorweisen konnte, erhielt weiter Unterstützung. Obwohl viele Flüchtlinge darum baten, in der Schweiz bleiben zu dürfen, weil sie auf die Rückkehr in die Heimat hofften, mussten sie weiterziehen. 1694 gibt Bern allen Flüchtlingen den Befehl, das Land zu verlassen, insbesondere nach Deutschland. Die Reise durchs katholische Süd­deutschland war gefährlich. So leisteten die Schweizer oft noch einen Begleitschutz. Ihr Exil fanden die Hugenotten nach langen beschwerlichen Reisen in Deutschland, den Niederlanden, auch in England, Russland und Amerika. Deutsche Länder, etwa Brandenburg, wünschten Flüchtlinge aufzunehmen. Geschwächt durch den 30-jährigen Krieg konnten sie Fachkräfte gebrauchen.

Während die Hugenotten den Obrigkeiten aufgrund ihrer Arbeitsethik und ihrer wirtschaftlichen Innovationskraft in der Regel willkommen waren, war die einheimische Bevölkerung ihnen gegenüber oft feindlich eingestellt. Das einheimische Gewerbe empfand sie als schädliche Konkurrenz und Bedrohung. Die Menschen störten sich zudem an den fremden Lebensgewohnheiten und Verhaltensweisen sowie an der fremden Sprache der Flüchtlinge. 

Bild:  Empfang der französischen Flüchtlinge durch den Großen Kurfürsten im Potsdamer Stadtschloss

Ölgemälde von Fischer-Cörlin (= Ernst Albert Fischer geb. Cörlin 1853-1932)

 

 

 

 

 

 

 

Die Hugenotten kamen nicht mit leeren Händen; mit ihrem Können und ihren Erfahrungen aus dem wirtschaftlich hochentwickelten Frankreich bereicherten sie die Produktion und das gesellschaftliche Leben der Gastländer und hinterliessen Spuren zum Teil bis zum heutigen Tag. Die Hugenotten brachten nicht nur ihre Erziehung mit, sondern auch die französische Lebensart: ihre Essgewohnheiten, ihren Bau- und Wohnstil. Sie beeinflussten die deutsche Sprache durch ein paar französische Wörter. Das deutsche Wort plärren kommt vom Französischen pleurer (weinen), boulette  = Bulette, ragoût fin = Ragout fin, quincailleries (Haushaltswaren aus Metall bzw. wertlose Kleinigkeiten) = Kinkerlitzchen, querelle (Streit = Querelen.  Es gibt viel mehr davon, vor allem in Berlin und Umgebung. Manche Ausdrücke sind nicht mehr gebräuchlich, aber Trottoir, Billet, malade, Boulevard z.B. waren früher durchaus geläufig.

Auch manche Familiennamen sind eine Hinterlassenschaft der Hugenotten. Der Name Plüss zum Beispiel, klingt genauso schweierisch wie Meier. Er stammt aber ursprünglich aus Nîmes. Die Spur lässt sich bis 1550 zurückverfolgen. Die reformierte Familie liess sich in den Gemeinden Vordemwald und Murgenthal im heutigen Aargau nieder. Der Name wurde eingeschweizert, ursprünglich hiessen die Flüchtlinge «Pluss». Auch die Familie Ringier, welche sich in Zofingen niedergelassen hatte, stammte aus Nîmes. Um 1820 hiess ein Drittel aller Einwohnerinnen und Einwohner von Murgenthal Plüss.

«Das ist eine Mechanik, die sich beobachten lässt, seit es Fluchtbewegungen gibt. Das sieht man ja auch heute noch: Viele Ukrainerinnen kommen zum Beispiel in die Schweiz, weil sie hier Verwandte oder Bekannte haben. Das war damals nicht anders. Dass der Familienname Plüss heute als Schweizer Name empfunden wird, ist eine typische Integrationsgeschichte. Die Integration ist nicht nach der ersten Generation abgeschlossen, sie zieht sich über Generationen weiter. Vielleicht gehören in 400 Jahren Familiennamen wie Berisha, Ramadani oder Kravchenko ganz selbstverständlich zur Schweiz." (von: Markus Plüss)

 

Während die Hugenotten den Obrigkeiten aufgrund ihrer Arbeitsethik und ihrer wirtschaftlichen Innovationskraft in der Regel willkommen waren, war die einheimische Bevölkerung ihnen gegenüber oft feindlich eingestellt. Nachts kippten sie den fremdzüngigen »Bohnenfressern« Mist vor die Haustür, schlugen ihnen die Fensterscheiben ein und steckten dann und wann ein Hugenotten-Haus in Brand, zur Volksbelustigung. Schließlich hatte der Kurfürst - ein Reformierter im Unterschied zur Mehrheit seiner lutherischen Untertanen - in ihren Augen viel zu viele Anhänger der teuflischen calvinistischen Irrlehre ins Land geschleppt und sie zudem in einem Masse materiell privilegiert. Das forderte den Volkszorn heraus. Das einheimische Gewerbe empfand sie als schädliche Konkurrenz und Bedrohung. 

 

Pfarrer wurden zunächst wohlwollend empfangen. 1683 wünscht die Akademie von Lausanne, dass nur „außergewöhnliche Seelen“ mit einem seelsorgerlichen Auftrag betraut werden. Das 1729 von Antoine Court gegründete Seminar von Lausanne bietet eine theologische Ausbildung für die Pastoren an, die heimlich nach Frankreich ausreisen. Antoine Court lässt die Kirchen des „Désert“ anerkennen.

 

Flüchtlingspolitik heute

Die Hugenotten gelten heute als Muster-Migranten. In manchen Gegenden ist es gar angesagt, Hugenotten im Stammbaum vorweisen zu können.

Aus dem Erfolg der Integration der Hugenotten lassen sich nur bedingt Schlüsse für die Gegenwart ziehen. Denn anders als zahlreiche Migranten der Gegenwart kamen die Hugenotten aus einem prosperierenden Nachbarland, das wirtschaftlich und kulturell deutlich weiter war als z.B. Brandenburg. Dennoch liefert ihr Erfolg ein wichtiges Exempel für die aktuelle Lage: Viele Flüchtlinge können in relativ kurzer Zeit integriert werden – wenn man ihnen die Möglichkeit zur Arbeit gibt, ihnen ihre kulturelle und religiöse Freiheit lässt, aber zugleich auf rasche und unbedingte Integration in die Mehrheitsgesellschaft hinarbeitet.

Mit vorschnellen Vergleichen sollte man vorsichtig sein. Aber eines ist gewiss: Die Religion war immer eine der großen Potenzen der Weltgeschichte und ist es wieder. Es wird Zeit, sich an diesen Gedanken zu gewöhnen und an seine Konsequenzen.

 

Die Präsenz der Hugenotten fern ihrer Heimat, prägte die Kultur der Gastländer. In Berlin und Brandenburg, litten die schätzungsweise 20'000 Refugiés an der dortigen Küche. Für sie war diese ein Graus. Pökelfleisch, Trockenfisch, Dörrgemüse, Sauerkohl, Rüben und Wurzeln. Kein frisches Gemüse, keine Kräuter. Irritiert stellten die Flüchtlinge fest, dass sie unter Menschen geraten waren, die niemals Erbsen oder Bohnen zubereiteten. Doch statt sich der jämmerlichen preussischen Nahrungskultur anzupassen, setzten sie alles in Bewegung, etwas daran zu ändern. Die Hugenotten ließen Saatgut kommen, dazu Setzlinge, junge Bäume und Weinstöcke. Sie bauten Treibhäuser, legten Früh- und Mistbeete an und machten so viele Gemüse- und Obstsorten heimisch, auch die Tafelbirne. In dem nur in Französisch vorliegenden, um 1800 erschienenen Buch von Erman und Reclam „L’apport des réfugiés huguenots à l’agriculture et aux jardin du Brandebourg au lendemain de 1685“ ist sogar von Experimenten mit Melonen, Zitronen- und Orangenbäumen die Rede. Manche Anpflanzungsversuche gelangen so gut, dass sie die deutschen Lebensgewohnheiten dauerhaft revolutionierten. Spargel zum Beispiel. Er spross herrlich im sandigen Boden. Auch Schwarzwurzeln, Blumenkohl, Erbsen, Artischocken, Chicorée, Suppengemüse und -kräuter gediehen prächtig. Die französischen Familien sicherten innerhalb weniger Jahre den Eigenbedarf und bereicherten die kargen Berliner Märkte. Die Deutschen staunten. Die Gärten wurden zum Ziel sonntäglicher Spaziergänge – und die Leute durften von den fremden Speisen kosten. Die Hugenotten machten Restaurants und Feinbäckereien auf. Mit Zeit und Kostproben gewann auch das einfache Volk Gefallen an dieser Küche. Es entdeckte die Vorzüge neuer Mohrrübensorten, das französische Wort Karotte fand Eingang in die deutsche Sprache. Die Kartoffel, die Friedrich der Große seinen Untertanen um 1750 gegen den Hunger verordnete, setzte sich ebenfalls mithilfe der Hugenotten durch – die kannten die Knolle aus ihrer Heimat. Auch „falscher Kaffee“ geht wohl auf die Hugenotten zurück. In Anbetracht der hohen preußischen Importzölle auf Kaffee bauten französische Gärtner Zichorie an, deren Wurzeln sie rösteten, mahlten und dünnem Kaffeeaufguss beigaben. Das Getränk nannten sie café prussien, café allemand oder mocca faux – in Berlin besser bekannt als Muckefuck.

Aus: "Bon appétit! Wie die Hugenotten die Berliner Küche bereicherten."

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